"pianopossibile" im "i-camp": Neue Musik auf der Suche nach Publikum und Jugendlichkeit

von Alexander Strauch

Bunte Neutöner: "pianopossibile" (hier im i-camp bei einem anderen Auftritt). Foto: Eduardo Navarro

München friert bei sibirischer Kälte, doch im i-camp, „drunt' in der Au“, schimmern vom Westwind aus Amerika, Schottland und Hamburg herein gewehte „Silberstreifen“ im gleichnamigen Konzert der Münchner Neue-Musik-Band „pianopossibile“.

Die Besucher kuschelten sich bei der draußen herrschenden Kälte im nur halbvollen Saal um so familiärer zusammen, bei für München ungewohnten Klängen. Wie das Motto „Sait-by-Sait“ versprach, taten sich besonders Saiteninstrumente und ihre Spieler im Programm hervor. Das Ensemble „pianopossibile“ verwob die Stücke vschiedener Komponisten zu einem nahtlosen Programm.

Nahtlos, ja; insgesamt aber ging das Konzept nicht so glücklich auf wie in der Silberstreifen-Reihe gewohnt. Schuld daran war das viersätzige Stück des Abends, „DW 15“ von Bernhard Lang, das mit seiner Länge Rahmen sprengte. Zwar konnten der Widmungsträger Georg Glasl an der Zither und die formidable Sängerin Martina Koppelstetter ihre metrische Präzision und Fähigkeiten in schroffen ebenso wie in leisen Nuancen voll ausspielen, so dass man bilderreich beim ersten Satz an Carl-Orff-singende Aliens und beim zweiten Satz an bizarre altägyptische Elektromusik dachte. Die folgenden Sätze jedoch strapazierten die Aufmerksamkeit arg.

Man ließ den Zusehern keine Luft: Das nachfolgende Stück Martin Schüttlers, „Linked Trips“, war im Sinne eines klangschönen Stücks zeitgenössischer Musik das Herz des Abends. Nur ließ man sich nach fünf Minuten einer unsicher höchste leise Töne produzierenden Sopranistin, ätherischen Ensembleklängen und wundersamen Geräuscheinwürfen bald all zu willig von unruhig mit Kunstlederstiefeln knarzenden Rollkragenpulli-Zuhörerinnen ablenken.

Um so gespannter war man auf Leopold Hurts „Aggregat“ für Cello, Basszither und Elektronik. Der treibende Puls weckte auf, die anzurutschenden Töne des Cellos liessen an Kriegsgeräusche oder chinesische Geigen denken – kein Wunder, wenn fast eine faschingsartige Stimmung aufgekommen wäre. Plötzlich dröhnte zugespielte Elektronik herein, als würde ein Erzengel auftreten. Statt ein Halleluja anzustimmen, verflüchtigten sich die zwei Saiteninstrumente. Also doch tragisches E-Musik Pathos!

Die Aufgabe zu rocken übernahm am Ende „Fishbone“ von Alwynne Pritchard. Endlich durfte „pianopossibile“ das sein, was es sein möchte: Eine Rockband mit Gitarre, E-Bass, Drums, elektronisch verstärktem Cello und einem Sprecher, der den Dadaisten Kurt Schwitters auf Englisch rezitierte. Der E-Bassist ging richtig ab, Sprecher Philipp Kolb, sonst Trompeter des Ensembles, ließ sich mitreißen. Das hatte, angesichts des nicht mehr jugendlichen Alters von Akteuren und Zuhörern, etwas von Oldie-Veranstaltung.

Hätte man doch stattdessen den jugendlichen Drummer rappen lassen, vielleicht wären ein Paar kreischende Giesinger Bräute ins i-camp eingefallen und hätten den Altersschnitt gesenkt. Aber sie und der Rest der Stadt verpassten somit den heimlichen Star des Abends, den Cellisten Mathis Mayr. Er intonierte "Industry", Michael Gordons Cello-Solo mit Verzerrer, so krass genau, dass zu den gespielten Klängen ein unheimlich hörbarer und doch virtueller Bass von Kombinationstönen hinzutrat. Wie sich die Vorstellungen von Band und Neuer Musik doch mit der Besetzung mit Oldies jenseits der 40 vereinbaren lassen - bei Mathis Mayr stellte sich diese Frage auf einmal gar nicht mehr. 

 

Veröffentlicht am: 04.02.2012

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Arno Waschk
05.02.2012 17:13 Uhr

Ein spannender und launig geschriebener Artikel, aber ist es wirklich notwendig, den neuesten Schöpfungen aktueller Komponisten a priori mit scheinbar selbstverständlichen Vorgaben zu begegnen, worum es in der Musik zu geben habe, und wer gefälligst als Zuhörer zu erscheinen hätte?

Würden sich nämlich die Komponisten nach solch einem vorgegebenen Wertekanon (wie er mir den Wertungen dieses Artikels zugrunde zu liegen scheint) richten, bekämen wir letztlich keine "Neue", auch keine neue, sondern bestenfalls "Neue Konventionelle" Musik.

Da ginge ich dann lieber ins Theater.

Lasst doch die Künstler so alt oder jung sein, wie sie es sind oder sein wollen! Bitte!