„Vibrator Play“ im Cuvilliéstheater: Allzu routinierter Boulevard, drollig unaufgeklärt

von Michael Weiser

 

"Nebenan" passiert so einiges... Foto: Horn

Es gab mal eine Zeit, da glaubte man an die Unterlegenheit des Weibes und die Allmacht der männlich dominierten Technik. Schiffe sollten unsinkbar, Distanzen überwindbar, alle Krankheiten heilbar sein. Vor allem jene weiblichen Störungen, die man unter dem Begriff Hysterie zusammenfasste, angeblich verursacht durch die unterbeschäftigte Gebärmutter: Ein elektronisches Massagegerät sollte die Störungen sanft hinwegvibrieren.

Damals kam der Vibrator in Mode – als medizinisches Gerät. Diese Kuriosität der Medizingeschichte lieferte Sarah Ruhl vor wenigen Jahren den Stoff für ein erfolgreiches Theaterstück. Für das Staatsschauspiel in München machte Barbara Weber aus „Nebenan – The Vibrator Play“ ein Lust-Spiel, das Untiefen routiniert umsegelt.

Der – tatsächlich hysterische – Technikglaube jener Zeit, aber auch die lieblose Dominanz der Herren der Schöpfung sind Themen des Stücks, die im Cuvilliés-Theater allerdings vor lauter Klamauk in den Hintergrund treten. Hanna Scheibe lauscht als Catherine Givings an der Tür das Labors, in dem ihr Mann (Norman Hacker) Geheimnisvolles tut. Seltsame Laute dringen durch die Tür, die sich wenige Minuten später öffnet – um entspannte Patientinnen und Patienten zu entlassen. Vor allem Sabrina Daldry (Carolin Conrad) weiß Interessantes über die revolutionäre Behandlungsmethode zu berichten.

Von Höhepunkt zu Höhepunkt emanzipieren sich die Frauen von ihren emotional verkrüppelten Ehemännern, von denen keiner sehen kann und will, dass die angeblichen Störungen dem lieblosen Vollzug der Ehe geschuldet sind.

Erschöpfungszustand: Hanna Scheibe als Katherine Givings. Foto: Horn

Was die Darsteller mit Conrad an der Spitze zeigen, ist witzig – und insgesamt zu routiniert. Dr. Givings Verdrängung der Tatsache, dass es bei den Behandlungen eher um Masturbation denn Medizin geht, ist natürlich komisch. Mehr aber auch nicht: Das Stück bleibt auf der Ebene konventioneller Geschlechterkomödie. Mit der Musik von Arvild Baud hat Barbara Weber Musicalelemente eingebaut, die etwa übrigbleibende Kanten abschleifen.

Dank Webers atemloser Inszenierung und der spätviktorianisch-üppigen Ausstattung von Janina Audick bleibt die Inszenierung in einem drollig unaufgeklärten 19. Jahrhundert hängen. Als ob die Gegenwart viel aus den Irrwegen der Doktoren, Wissenschaftler und Ingenieure gelernt hätte: Allmachtsfantasien, hysterische Erwartungen und das Herumdoktern an Symptomen sind doch immer noch genau so in Mode wie vor 120 Jahren.

Nächste Termine: 1., 8., 19. und 28. März 2012 im Cuvilliés-Theater

 

Veröffentlicht am: 01.03.2012

Über den Autor

Michael Weiser

Redakteur, Gründer

Michael Weiser (1966) ist seit 2010 beim Kulturvollzug.

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