David Helbocks "Random / Control" gastierte in der urigen Künstlerwerkstatt Pfaffenhofen: Zen, Gospel und Öpfili

von kulturvollzug

Das ganze Konzert über geht es hin und her, vor und zurück, nach links und rechts: "Random / Control". Foto: S.W. Pakzad

Wer in Pfaffenhofen aus dem Zug steigt, dem bietet sich ein etwas trostloses Bild: eine Mischung aus Wohn- und Industriegebiet. Nichts deutet beim ersten Schweifen über das Gelände darauf hin, dass in Sichtweite die Kultur gepflegt wird. Hat man dann aber erst einmal die Hauptstraße überquert und nähert sich diesem einen etwas unauffälligen alten Haus, befällt einen eine erste Ahnung, dass hier vielleicht doch nicht alles so trist ist, wie es eben noch schien.

Hat das da die Natur geschaffen oder hat da jemand Hand angelegt? Moment mal – und das da, das könnte doch auch eine Skulptur sein. Wir sind am Ziel: Die Künstlerwerkstatt Pfaffenhofen liegt vor uns.

Vor hundert Jahren wurde hier konserviert, was pralle Euter an proteinhaltigem Nass hergaben. Milch wird in dem Gebäude keine mehr gelagert – es riecht nach Holz, nach Sägespänen. Wir befinden uns in Bernhard „Wacki“ Singers Reich. Früher hat er an Film-Sets für Doris Dörrie oder Roland Emmerich mit gebaut, heute ist er eine Mischung aus Künstler und Pragmatiker: In seinem großen, von historischen Sägen und Pressen dominierten Arbeitsraum entstehen sowohl Kunstwerke als auch Regale, die er auf Bestellung tischlert.

Gut fünfundzwanzig bis dreißig Mal im Jahr wird hier gründlich durchgefegt. Klappstuhlreihen zwischen den imposanten Gerätschaften und Werkzeugen künden an, dass hier gleich gejazzt wird. Seit gut siebzehn Jahren blasen sich in der Künstlerwerkstatt Pfaffenhofen (die sich auch gelegentlich Ausstellungen leistet) Improvisationskünstler aus aller Welt die Lungen und die Seele aus dem Leib.

Was zunächst aus einer Gaudi heraus entstand und nicht so recht für eine breite Öffentlichkeit gedacht war, verselbständigte sich schnell immer mehr. Jam-Sessions wichen richtigen Konzerten, aus einer Privatinitiative wurde 2001 ein Verein, der heute etwa 50 Mitglieder zählt. Ein sechs bis achtköpfiges Team von Ehrenamtlern (inklusive Wacki Singer) wuppt die Jazz-Konzertreihe, vom Booking bis zum Sound. Private wie öffentliche Sponsoren sichern die Logistik sowie die Mindestgagen für die Musiker, die als kleinen Zusatz auch noch das erhalten, was aus dem Hut kommt, der bei jedem Konzert herum geht.

Da wollten angeblich schon Genesis rein: in die Künstlerwerkstatt. Foto: Pakzad

Gut gefüllt war die Kopfbedeckung, die eigentlich ein alter Topf mit abgeplatzter Emaille ist, als jetzt ein spektakuläres, junges Trio aus Vorarlberg zu Besuch war: David Helbocks "Random/ Control" gastierte in der urigen Spielstätte (die übrigens hervorragend klingt/ selbst der BR nimmt hier öfter auf) . Der Namensgeber des flotten Dreiers sitzt am Flügel, macht zusätzlich auf und aus Spielzeug Musik und ruft digitale Patterns und Verfremdungen ab.

Andi Broger macht sich an allen erdenklichen Holzblasinstrumenten, von der Flöte bis zur Bassklarinette, zu schaffen und Johannes Bär ist der Blechspezialist, der von der Zugtrompete bis zum Helikon alles beherrscht. Sogar ein Alphorn hat er dabei, das er mal eben halbiert und zur Digeridoo umwandelt. Binnen weniger Takte entführt er uns von saftigen hiesigen Bergwiesen in die Traumzeiten der australischen Aborigines.

Das ganze Konzert über geht es hin und her, vor und zurück, nach links und rechts. Eben noch stimmte das Trio, das so wunderbar zwischen Kontrolle und Zufall, also Random/ Control vermittelt, das Vorarlberger Volkslied „Öpfili, bist so kugelrund“ an, jetzt schon jubiliert es in einer Gospelkirche im tiefsten Süden der USA. Eben noch schwebten die drei Multi-Instrumentalisten durch eine Zen-Meditation, nun wandeln sie auf den Straßen der Bronx – Johannes Bär wird zur Human Beat Box.

Dabei hat dieses furiose Durcheinander durchaus Struktur und wirkt nie wie ein beliebiges Sammelsurium der Einflüsse, Epochen und Klangregionen. Sehr humorvoll, charmant und hoch virtuos schaffen Helbock und seine Freunde Verbindungslinien, wo es bisher keine gab. Während die Musiker im fliegenden Wechsel von einem Klangerzeuger zum anderen flitzen, wundert sich der Zuhörer, wie organisch dieses große Kuddelmuddel doch klingt. Schweren Herzens ließ man am Ende das Trio ziehen, das einem ganz neue Klangwelten öffnete.

Die österreichischen Musiker fühlten sich offensichtlich wohl in der Künstlerwerkstatt Pfaffenhofen – so wie alle, die an diesem besonderen Ort auftreten. Der Sage nach soll sogar die Supergroup Genesis einst angefragt haben, ob man denn hier ein Geheimkonzert abhalten könne.

Ssirus W. Pakzad

Veröffentlicht am: 02.03.2012

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Adelheid Weinhöppe
03.03.2012 13:31 Uhr

Danke für das 'Öpfili'! Und den Kulturvollzug insgesamt!

Herzliche Grüße

Adelheid Weinhöppel