Heliocentric Counterblast in der Unterfahrt

In großer Höhe scheint alles zauberhaft - Berliner Rakete fliegt in Richtung Sun Ra

von Michael Wüst

Heliocentic Counterblast in der Unterfahrt (Foto: Michael Wüst)

Durch die Unterfahrt fuhr elektrisierend und vitalisierend ein Sonnensturm der besonderen Art: Heliocentric Counterblast, das achtköpfige Ensemble aus Berlin, präsentierte Kompositionen von Herman "Sonny" Blunt, besser bekannt als Sun Ra.

Mit vereinzelten Missweisungen cerebraler Microvoltbereiche war vorher durchaus gerechnet worden. Jedoch kam niemand und nichts zu Schaden. Ganz im Gegenteil: heiter und kosmisch beflügelt verließ man den Jazzuntergrund an der Einsteinstraße! What a trip!

Grundsätzlich liegt komisch und kosmisch nicht so weit auseinander. So betrachtet. Jedenfalls - wie da die acht kosmischen Vögel vom Heliocentric Counterblast, gestartet in Berlin, einen nach dem anderen abschossen, das war in glanzvoller Harmonie der Gegensätze perfekt und lässig. Man bekam schon einen Vogel, wie sich hier klangliche Welten begegneten, ineinander verschlangen, verschmolzen, auseinander flossen und wieder neu erstanden. Und das Ganze war auch noch, wie einleitend angedeutet, mit einem kräftigen Schuss Humor serviert worden. Saukosmisch.

 

Die acht kosmischen Vögel (Foto: Heliocentric Counterblast)

Ein "Tribute to Sun Ra" - das traut sich wahrlich nicht jeder zu. Kathrin Lemke hat sich getraut. Sie transkribierte frühere Big-Band-Werke des Meisters vom Saturn aus der progressiven Phase des Arketras in den 1950 und 60er Jahren, arrangierte neu für fünf Bläser, Piano, Keyboards und Schlagzeug.

Los ging es mit "Galactic Voyage"". Geräusche, Töne, Klänge, Riffs, Kadenzen werden in Schichtung vorgestellt. Zu Beginn schlagen Trompetendämpfer und Saxophonklappen den Takt. Es folgt ein einfacher "Call" aus drei Tönen von der Posaune, dazwischen gezupfte und geschlagene Klaviersaiten, dann setzt sich das Tenorsaxophon mit einer Art Auftakt vor die Posaune, Altsaxophon und Trompete legen Pfundnoten dazwischen - es entsteht ein Teppich, vor dem dann die Querflöte und das Altsaxophon tanzen. Arabesken, phönizisches Moll und gezupftes Klavier künden den Zerfall der Geschichte an.

Der Teppich wird aufgespleißt, desorganisierend wühlt der Syntheziser als kosmischer Schalk in den Fäden, aber nur um die Geschichte neu aufzurollen, um ihr mehr Gewicht zu verleihen. Die einzelnen Stimmen verschmelzen zu einem druckvollen Appell.

Auch "Ancient Aiethopia" scheint geleitet von einem Anspruch, allem was da kreucht und fleucht eine Stimme zu geben. Die Kakaphonie des globalen Seins, vom Grunzen einer Gnuherde, dem Schreien eines neugeborenen Kindes bis hin zum Starten einer Rakete, alles scheint in großer Höhe einen zauberhaften Akkord zu bilden. Und so fliegen wir mit Sun Ra in seinem Shuttle "Heliocentric Counterblast" in verschiedenen Höhen. Mal durchgeschüttelt wie in einem Asteroidengürtel, mal hineingestürzt in grünen Krokodilsumpf, um durch einen Vulkan wieder hinausgeschossen zu werden, begleitet von trunkenen Elfen.

Man kann sich vorstellen, dass das großartige Instrumentalisten erfordert. Heliocentric Counterblast schafft sie grandios, diese Reise in 80 Takten um die Welt. Die einzelnen sind alle Meister der Vielsprachigkeit von der Engelszunge bis zur Glossolalie. Gerhard Gschössl, Posaune, und Andreas Dormann, Baritonsax, verankern einerseits mit enormer Tiefensicherheit, sind aber in der Lage, ihre Instrumente in Presslufthämmer zu verwandeln. Andreas Dormann schreit am Bariton wie Pharao Sanders in seinen besten Zeiten bei dem Jazz Composer Orchestra. Nikolaus Neuser, Trompete, Dirk Steglich, Tenorsaxophon und Flöte sowie Kathrin Lemke am Altsaxophon formen einen betörend seidigen, elastischen Klang, sorgen immer wieder für den Blick aus großer Höhe.

Hinter diesem prächtigen Satz arbeiten zwei übergreifend triolisch, was das Gefährt ausbalanciert und für einen guten Schub sorgt: David Hagen Mike Majkowski, Bass, und Philipp Bernhardt, Schlagzeug. Der Meister selbst, Sun Ra, wird würdig vertreten von Uri Gincel Niko Meinhold an den Tastaturen.

What a trip! East of the sun an west of the moon!

 

Anmerkung (26.3.12, 9.30 Uhr): Die Namen im vorletzten Absatz wurden nach einem Hinweis von Kathrin Lemke korrigiert; sie waren falsch im Programm gestanden.

Veröffentlicht am: 25.03.2012

Über den Autor

Michael Wüst

Redakteur

Michael Wüst ist seit 2010 beim Kulturvollzug.

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