"Gato Loco" im Art Babel

Brass-Explosion jenseits allen Kunstgenussgehabes

von Michael Wüst

Da ging es zur musikalischen Sache: "Gato Loco" im Art Babel (Foto: Michael Wüst)

Die New Yorker Brass-Explosion "Gato Loco" mit Leader und Composer Stefan Zeniuk am Tenorsaxophon zauberte für einen Abend Brooklyn-Atmosphäre in das alte Norkauer-Haus in der Nähe des Starnberger Bahnhofs in München, das mittlerweile besser bekannt ist als Art Babel.

Charmant, ruiniert und zwischenabgenützt. Aber wie es groovte! Es könnte der geradezu krönende Abschluss in der Geschichte dieses eigenwillig fehlplatzierten Flachbaus, eines ehemaligen Teppichhauses neben einer Eden-Bar, gewesen sein, wie da die Crazy Cats von "Gato Loco" mit ihrem Powersound und ihrer energisch-chaotischen Performance Einzug gehalten hatten und uns von Anfang an zu sagen schienen: hier ist Brooklyn.

Dabei war es ein Zufall. Die Cats hatten sich auf der Rückreise von einem Festival in Venedig an ihren Gig im November letzten Jahres in der Unterfahrt erinnert und beschlossen, München auf der Fahrt mitzunehmen. Es fand sich jedoch so spontan kein Spielort, Zehra Spindler riskierte es und öffnete das Art Babel.

Den Exegeten eines Jazzniedergangs hätte dieser fantastische Abend möglicherweise ein Licht aufgesteckt. Ja, man möchte schon sagen, so ginge es und so wären auch junge Leute wieder dabei: hinweg wäre alles sakrale Kunstgenussgehabe, das Auszischen solcher, die es wagen, während der Wandlung zum Dominantseptakkord ein Wort zu verlieren, hinweg die Verzückung über weltmeisterlich glatte Arpeggios zwischen zwei Bissen Zwiebelrostbraten, hinweg das anerkennende Stöhnen des wissenden Jazz-Gourmets.

"Gato Loco" forderten natürlich keine Andacht, sie leben noch. Stefan Zeniuk (Tenorsaxophon), Jesse Selengut und Jackie Coloeman (Trompeten), Kevin Moehringer und Rick Becker (Posaunen) und Joe Exley (Tuba) bildeten einen kraftvollen Satz starker Salsalinien und punchender Akzente, die Rhythmusgruppe mit Clifton Hyde (E-Gitarre), Ari Folman-Cohen (E-Bass), Brett Tyson (Congas) und Greg Stare (Schlagzeug) führte sicher durchs puertorikanische Viertel. Von Santana bis Eddy Palmeri war man in jedem Latin-Idiom todsicher daheim. Allerdings hat Stefan Zeniuk es schon verstanden, die Stücke in Mittelteilen zu dekonstruieren, manchmal auch in reinen Klängen ausruhen zu lassen, um alsbald in wildesten Free-Rock-Gestus ("Coconino") auszubrechen. Kevin Moehringer und Clifton Hyde navigierten dabei vor den Klängen der Band sicher in den "richtigen" Alterierungen großer Akkordskalen und erzeugten die notwendigen Reibungen, die dramatisch dann im Tutti regelrecht vorwärtsgepeitscht wurden, um in einen entspannten Salsabeat wieder zurückzufallen.

Dann plötzlich, wie von Taranteln gestochen, rasen die sechs Bläser durcheinander, Posaunenzüge stechen in die Luft, Trompeten wippen, die Tuba kippt hin und her. Stefan Zeniuk kniet mit dem Tenorsaxophon und die anderen scheinen ihn irgendwie platt machen zu wollen. - Was war das? Mein Gott, eben so ein kleiner Ausbruch! Nicht der Rede wert. Manches erinnert an Filmmusiken á la Nino Rota: "Gun-Slinging Tuba" etwa präsentiert Joe Exley im Gestus einer Paten-Filmmusik, spielt mit Kinogefühlen, um doch abzustürzen. Als liefe das Stück einen Abhang zu schnell hinunter. Doch kurz vor dem Überschlag ist man zurück, steht wieder fest im tänzerischen Sentiment. "Splinter" dagegen kommt daher wie eine fahrende Abrissmaschine, eine häuserverschlingende Lafette aus einer "Naked City" John Zorns.

Selbst die Zugabe hatte ihren ganz eigenen Spirit: zehn durchgeknallte Katzen drängten sich mit ihren Instrumenten hinaus durch den engen Gang des Art Babel und rockten jetzt die Straße. In der Tür der Eden-Bar erschien eine Bardame mit hohen Stiefeln und im dritten Stock desselben Hauses verfolgte eine ältere Dame, aufgestützt auf dem Fensterbrett, die Szene. Sie applaudierte. So geht es eben auch. War hier kurz Brooklyn?

Veröffentlicht am: 23.04.2012

Über den Autor

Michael Wüst

Redakteur

Michael Wüst ist seit 2010 beim Kulturvollzug.

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