"Korijolanusz" bei "Radikal Jung"

Zum Stand der Demokratie: "Dann ändern wir halt die Verfassung"

von Michael Weiser

Machtgier und Zynismus: Nóra Diána Takács und Zsolt Máthé. Foto: Daniel Borovi

Ist das wirklich Demokratie, wenn jeder seine Cocktailkirsche oder ausreichend Oliven erhält? In "Corijolanusz", einer Inszenierung des Budapester Hopp-Art-Theaters  nach William Shakespeares Römer-Drama, buhlen die Mächtigen um das Volk - und das Demos weiß mit der Demokratie nichts anzufangen. Ein sehenswerter Kommentar zum Zustand der Volksherrschaft in der Europäischen Union.

"Vielleicht müssen die Zeiten schlechter werden, damit das Theater seine eigene Relevanz wieder erkennt", sagte hinterher Kilian Engels, Leiter des Festivals und Chefdramaturg des Münchner Volkstheaters. Er hatte den ungarischen Schauspieler und Regisseur Csaba Polgár und seine Truppe eingeladen, eben vor dem Hintergrund der Lage in Ungarn: noch keine Diktatur, das nicht; aber eine prekäre Demokratie, unterwandert, ausgehöhlt, ein Land, aus dem immer schrillere rechsextreme Töne dringen. Seit einigen Wochen nennt sich Ungarn selbst gar nicht mehr Republik. Möglich macht es eine neue Verfassung, die die Ungarn auf traditionelle Werte wie den christlichen Glauben und Nationalstolz verpflichtet. Dazu: miserable Wirtschaftsdaten, der Forint auf Ramsch-Niveau, horrende Verschuldung.

Wer mag, kann in Ungarn unter Viktor Orbán Parallelen genug finden zum Stadtstaat Rom im 5. Jahrhundert vor Christus. Eben erst der Monarchie ledig - wie Ungarn seinerseits des Kommunismus - befindet sich die junge Republik am Rande des Abgrunds. Die Plebejer hungern und begehren auf, die Reichen sind zynisch und menschenverachtend, vor der Tür stehen die feindlichen Volsker. Ein starker Mann kommt, besiegt die Volsker vor den Toren ihrer Hauptstadt Corioli und darf sich seitdem Coriolanus nennen. Sein Recht auf des höchste Amt im Staate wird unbestreitbar sein. Die Demokratie ist nur noch ein Begriff, nicht so viel wert wie das geringste Almosen der Mächtigen.

Das Stück des unabhängigen Theaters Hopp Art, gegründet von Csaba Polgar und weiteren Kommiltonen der Schauspielschule, um der drohenden Arbeitslosigkeit zu entgehen, ist noch vor Viktor Orbáns Amtsantritt geschrieben worden. Und doch wirkt es wie maßgeschneidert auf den umstrittenen Premiere. Der lateinische Name Viktor heißt nichts anderes als "Sieger", und wie der Sieger Coriolanus auch ist Viktor Orban nicht alleine schuld an der Lage: Es haben zuvor die alten Eliten ebenso versagt wie die Sozialisten, die "Volksfreunde", die im "Korijolanusz" durch zwei machtbewusste Volkstribunen verkörpert werden.

Die unabhängigen Theaterleute vom Hopp Art zeigen, zu was Theater in der Lage ist. Zum lockeren, unterhaltsamen Exkurs über Politik beispielsweise. Dass man dem Stück über eine in Übertiteln eingespielte Übersetzung folgen muss, stört wider Erwarten gar nicht. Die Darsteller, bei ihrer Premiere in München noch etwas nervös, spielen insgesamt überzeugend - und sie können singen. Gesang als Kommentar, als ironische Brechung oder als schwebender Ausdruck einer politischen Utopie, gehört zu den tragenden Elementen dieser Inszenierung. Es überzeugt auch das Bühnenkonzept: Polgar lässt bevorzugt nicht auf Bühnen spielen, sondern in normalen Räumen - wie dem Zuschauerraum des Theaters in Guut Nederling, das wie gemacht für die ungarische Inszenierung scheint. Unterm Giebel befindet sich sogar ein Fenster, aus dem nachher der unterworfene Volsker-Fürst herausschauen kann, um seine Nachtruhe einzufordern. Einfach und wirkungsvoll sind die Mittel: eine Vorrats-, eine Kühltruhe, wird zur Stadt Corioli - klar, dass die Plebejer nie den Deckel heben dürfen. Als sich Coriolanus (Zoltán Friedenthál) um das Konsulat bewirbt, muss er, in die schlichte Toga gewandet, Bescheidenheit beweisen. In Polgars Inszenierung ist das die Unterhose, die Anzughose schlabbert auf Knöchelhöhe: Der Politiker hat die Hosen runterlassen müssen. Er wird Konsul, es triumphiert seine Mutter (Norá Dianá Takács), deren Geschöpf er ist - doch er kann die Maske des Volksfreundes nicht lange vor seinem Gesicht halten. Und anderswo hat man schon wieder weitergehende Pläne. "Das steht nicht in der Verfassung", sagt ein Volkstribun. "Dann ändern wir halt die Verfassung", sagt er andere.

In Ungarn ist eben das vergangenes Jahr geschehen: Das Grundgesetz wurde ungeachtet aller Proteste der EU-Partner geändert. Mittlerweile sind die Änderungen in Kraft getreten. "Vielleicht sind das Wellen", sagte hinterher Csaba Polgár, "dass wir wieder hinabtauchen in das tiefe Wasser, in Ungarn, aber auch in Italien oder Spanien. Mal schauen, ob wir diesmal schneller wieder an die Oberfläche kommen als vor 70 Jahren."

"Korijolanusz" wird nochmals am heutigen Montag um 18 und 21 Uhr in Gut Nederling gespielt.

Außerdem heute bei "Radikal Jung" auf dem Spielplan: "Hate Radio", um 18 und 21 Uhr im Volkstheater, Großes Haus.

Veröffentlicht am: 23.04.2012

Über den Autor

Michael Weiser

Redakteur, Gründer

Michael Weiser (1966) ist seit 2010 beim Kulturvollzug.

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