Ilay den Boers Performance bei "Radikal Jung"
"This is my dad" - viele Fragen, ein Thema
Dokumentation oder Fiktion: In seiner Performance "This is my dad" erforscht Ilay den Boer bei "Radikal Jung" im Volkstheater die eigene Familiengeschichte und greift tief in die Trickkiste des Theaters.
So viel Mitmachen ist selten im Volkstheater: Da stehen zwei Männer, ein jüngerer und ein älterer, auf der Bühne und plaudern. Ilay den Boer und sein Vater Gert den Boer. Angeblich geht es um ein biographisches Projekt, Ilay möchte herausfinden, was ihn von seinem Vater unterscheidet. Um sein Leben geht es, Ilay den Boer hat also eine Broschüre im Publikum verteilen lassen, in der biographische Daten seines Vaters vermerkt sind. Vater und Sohn stehen vor einem anthrazitgrauen großen Schrank, der mit vielen Schubladen versehen ist. Und nun fordern sie die Zuschauer auf, Fragen zu stellen, zum Lebenslauf des Vaters, nur zu, keine Scheu, fragen Sie, was sie wollen.
Das ist zunächst sehr lustig, man weiß nie ganz genau, was ist berichtet, was geflunkert, was einfach nur erzählt. Die beiden sind ein munteres Pärchen, schlagfertig, sie spielen einander gekonnt die Bälle zu, die vom Publikum aus auf die Bühne gepasst werden. So viel wird klar: der Vater ist als junger Mensch nach Israel gereist. Nicht so sehr wegen der Sympathie für den Zionismus, als vielmehr für Sex, Drugs and Rock'n'Roll. Der Vater lernte eine Israelin kennen - und das Ergebnis der jungen Liebe ist Ilay, in Jerusalem geboren, als Sohn einer jüdischen Mutter gleichfalls ein Jude, während sein Vater reformierter Christ ist.
In der Dokufiktions-Performance "This is my Dad", dem dritten Teil von Ilay den Boers Familienprojekt "Het beloofde fest" (Das gelobte Fest), geht es aber nicht um Religion. Es geht um Identität. Die Performance, so frei und improvisierend sie angelegt scheint, steuert auf eine Frage zu: Was war damals gleich nochmal passiert, dass der Sohn, in Jerusalem geboren und in Holland aufgewachsen, mit dem Fußballspielen aufhörte? Antisemtismus, Judenhetze, Mobbing und Gewalt sind auch in Holland auf dem Vormarsch, auch wenn es der Vater nicht wahrhaben will. Das nicht Wahrhabenwollen des Vaters und das Wahrhabenmüssen des Sohnes prägt die Position der beiden viel stärker, als es der Altersunterschied könnte, den die beiden durch ihren kumpelhaften Ton ohnehin nahezu einebnen.
Das Erinnerungsschränkchen hinten hat denn auch nicht nur drollige Erinnerungen an die Biographie des Vaters zu offenbaren. Aus den Schubladen holt Ilay auch die Symptome des neuen Ungeistes hervor: Hakenkreuzschmierereien, Pappkameraden neonazistischer Hooligans, Zeitungsberichte. Ein LED-Schriftband verkündet das zynische KZ-Motto "Arbeit macht frei". Ilay streift die Kleider ab, steht splitternackt vor seinem Vater; der soll die Beschimpfungen brüllen, unter denen Ilay verbittert ist. Nur um nachzuvollziehen, was die beiden unterscheidet. Der Vater tut es, und kriecht auf Ilay zu, um ihn um Vergebung zu bitten und um ihn zu mahnen, nicht genau so hasserfüllt zu werden wie die Extremisten. Am Ende räumen die beiden auf. Der Vater steckt die Neo-Nazi-Fotos in die Schubladen, der Sohn holt sie wieder raus, um sie vorne auszubreiten. Was an seinem Trauma erfunden oder wahr ist - wir erfahren es nicht.
Ilay den Boer hat, wenn man so will, geschickt eine Fallhöhe geschaffen, mit dem putzigen Vorspiel, das selbstverständlich genau abgesteckt und konzipiert war und kein freies Spiel von Vater und Sohn mit dem Publikum, und der Nazi-Offenbarung und der vielleicht kathartischen Begegnung zwischen dem nackten Sohn und dem bald auch nackten Vater. Diese Konstruktion, das in jedem Augenblick Gewollte, ist der Schwachpunkt dieser Aufführung, die mich trotz ergreifender Szenen nicht im Gesamten packte. Ilay den Boer macht sich selber zum Thema des Abends, sich selber und einen nur allzu bekannten Sachverhalt, das eine Thema, auf das all die Fragerei zuvor hinführt: Ja, Nazis gibt es noch immer, nein, nicht jeder will es wahrhaben. Der Erkenntnisgewinn hält sich in Grenzen.
Die Neo-Nazi-Acessoires wirkten wie altbekannte Zutaten, auf deren Wirkung man sich verlassen kann. Dem anschließenden Gespräch im Festivalzelt ist Ilay den Boer ferngeblieben, aus Erschöpfung, wie man hören konnte, oder deswegen, weil er die Performance für sich stehen lassen wollte. Abgesehen davon, dass dieses Recht jeder Regisseur für sich in Anspruch nehmen dürfte: Durch ein Fernblieben hat sich der Künstler noch ein bisschen mehr entrückt, noch ein wenig mysteriöser gemacht - auch der leere Stuhl beim Stückgespräch wirkte wie ein Kunstgriff.
"Dit is mijn vader", "This is my dad": Ein Gastspiel des Het Huis van Bourgondië, Maastricht; mit Ilay den Boer und Gert den Boer; Regie: Ilay den Boer, Bühne: Edo Sutherland, Dramaturgie: Maya van den Heuvel-Arad, Musik: Melle Kromhout, Anan den Boer. Heute steht bei "Radikal Jung" Bastian Kraffts "Felix Krull" auf dem Spielplan (20 Uhr), morgen findet das Festival mit "Der große Gatsby" (Schauspiel Frankfurt) seinen Absschluss.