Tanz- und Theaterfestival im Muffatwerk

Vom Suchen und Finden der Zeichen

von Michael Wüst

Bling gegenüber dem Außen: Sarah Huby. Foto: Anna Konjetzky

Schon Ende der Achtziger sprach der Philosoph Jean Baudrillard von einer bevorstehenden Herrschaft der Zeichen. Zeichen allerdings, die referenzlos geworden seien, nicht mehr in der Lage,  auf ihre Herkunft zu verweisen. Im Muffatwerk untersuchte Anna Konjetzky mit „Abdrücke / Abdrücke folgen“ in zwei Räumen eindrucksvoll diesen Prozess: Vom Körper, über seine Vermessung, zu den Zeichen, möglicherweise zur Welt.

Eine Rekonstruktion. Oder eine Wiedereinsetzung. Im ersten Raum, dem Studio 1 des Muffatwerks, in der Mitte ein Kubus, kaum größer als ein Kubikmeter, verspiegelt. Im Inneren, der Körper der Tänzerin (Sarah Huby). Sie selbst sieht nur sich in tausend Spiegelungen, blind gegenüber dem Außen.  Außen, wie in einem Jenseits, die Zuschauer.  Sie sehen von allen Seiten hinein in den Würfel mit dem Körper. An der Rückwand des weißen Raumes, eine projizierte Innenansicht des Kubus mit der Tänzerin. Der Körper der Tänzerin verdreht sich, dreht sich, krümmt sich, zeichnet seine Bewegungen auf, textet. Er beschreibt auch die Innenkanten des Kubus, fährt ihn ab, scannt ihn.

Die Tänzerin malt schwarz auf weißes Papier und weiß auf schwarzes. Ergebnisse, Vorhaben. Das reicht sie durch eine Spalte an den Kanten des Kubus hinaus ins Jenseits der Zuschauer. Jetzt, nach etwa einer Viertelstunde, wird ihr Atem sichtbar, die Innenseiten des Kubus beschlagen. Schlieren entstehen, Abdrücke von Hand und Fuß, Wischer. Der Körper wird unscharf und zeichnet weicher. Plötzlicher Black Out. Im Nachbild leuchtet im Inneren ein Bild, wie eine Malerei.

Wie der Meterstab eines Tuchhändlers. Foto: Anna Konjetzky

Nach der Pause geht es in den zweiten Raum. Ein schwarzer Vorraum. Dahinter, etwa ein Drittel größer der Raum mit der zweiten Bühne. Der Kubus des ersten Raums scheint auseinandergefaltet zu sein zu einem Quadrat am Boden, darauf die Tänzerin. Bodenscheinwerfer, Scheinwerfer auf Stativen und vier Screens an den Außenwänden schließen ab. Wieder Vermessungen. Die Tänzerin bringt das Kunststück fertig, keinen Zentimeter zu verschenken. Als wäre sie der Meterstab eines Tuchhändlers: Elle liegt an Elle, Speiche an Schenkel, Wade an Kopf, gedreht, gekippt, verlängert, ohne einen Zentimeter zu verlieren.

Im zweiten Raum wird der Atem jetzt hörbar. Auf dem Atem liegen Phoneme, Laute, Worte. Wortfetzen, Stammeln. Eine Kamera erfasst die herabfahrenden Scheinwerfer, sie erscheinen wie Insektenaugen auf den Leinwänden. Langsames Ausblenden. Auf der letzten Leinwand leuchtet ein nächtliches Sternenzelt.

Veröffentlicht am: 01.06.2012

Über den Autor

Michael Wüst

Redakteur

Michael Wüst ist seit 2010 beim Kulturvollzug.

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