Interview zu "Böse Buben / Fiese Männer"

"Der Keller ist die Domäne des Mannes"

von Gabriella Lorenz

Ulrich Seidl (Foto: Photo Sepp Dreissinger)

Manche Menschen stochern gern in psychischen Abgründen. So wie Ulrich Seidl: Der 59-jährige Wiener lotet in Dokumentar- und Spielfilmen wie „Hundstage“ oder „Paradies: Liebe“ immer die dunklen, verdrängten und tabuisierten Seiten des Menschen aus.

So ist das auch in seinem Theaterprojekt „Böse Buben / Fiese Männer“. Es basiert auf dem Buch „Kurze Interviews mit fiesen Männern“ von David Foster Wallace, ergänzt durch Texte, die Seidl mit den Darstellern erarbeitet hat. Die Koproduktion wurde am 5. Juni bei den Wiener Festwochen uraufgeführt, zurzeit ist das Stück in den Kammerspielen zu sehen.

Herr Seidl, warum erforschen Sie so obsessiv die menschlichen Untiefen?

Ich bin auf der Suche nach Wahrheiten. Und die liegen oft im Verborgenen, hinter der Oberfläche. Gerade wenn es um sehr persönliche Intimitäten geht. Oft gesteht man sich Wahrheiten nicht ein – da tut sich das Schreckliche auf.

Sieben Männer in einem Kellerraum enthüllen ihr sexuelles Verhältnis zu Frauen. Und das ist  bei allen grausig. Wie hat das Wiener Publikum reagiert?

Vieles wurde mit Humor und Gelächter bedacht. Ich suche immer die Grenze von Komödie zu Tragödie. Es ist wichtig, lachen zu können, aber das Lachen soll auch im Hals stecken bleiben. Ich will eine produktive, nachhaltige Verstörung erreichen, dass sich der Zuschauer selber erkennt, wenn er es zulässt, in die eigenen Abgründe zu schauen. Denn die sexuellen Erfahrungen dieser Männer in Bezug zu Frauen sind in uns allen Männern angelegt. Ich nehme mich da nicht aus. Und auch Frauen können da ihre Männer wiedererkennen. Das Stück ist an uns alle gerichtet, da wird nicht nur über ein paar extreme Typen verhandelt.

Neben den Profi-Schauspielern sind auch zwei Laien im Ensemble.

Beide haben schon Erfahrung: Der Ägypter Nabil Saleh hat die Hauptrolle in meinem Film „Paradies: Glaube“ gespielt, auch René Rupnik hat in etlichen meiner Filme gespielt. Im Film darf man den Unterschied zwischen Laien und Profis nicht merken, hier ist er bewusst gesetzt. Sie sprechen eigene Texte, die über Improvisationen entstanden sind, die  Schauspieler sprechen die Texte von Foster Wallace.

Es ist die zweite Theaterregie Ihrer Karriere. Wie unterschiedlich ist für Sie die Arbeitsweise?

Meine Filmarbeit hat immer die Absicht, dass alles sehr authentisch und echt ist: Die Welt, so wie man sie kennt. Im Theater herrscht Künstlichkeit, es versucht nicht, realistisch zu sein. Ich habe nicht versucht, quasi-dokumentarisches Theater zu machen. Als Regisseur habe ich im Theater weniger Kontrolle, weil die Schauspieler und die Spannung im Raum bei jeder Probe und jeder Aufführung anders sind. Beim Film ist eine gedrehte Szene fertig für ewige Zeiten. Theater muss man jeden Tag neu  herstellen. Aber das ist seine Magie: dass es lebendig ist.

Sie arbeiten gerade an einem neuen Film, „Im Keller“, der nächstes Jahr herauskommen soll. Hat der etwas mit diesem Theaterprojekt zu tun, das ja auch in einem Keller spielt?

Nein, gar nicht. Aber der Keller ist die Domäne des Mannes, als Bastelkeller, Kellerbar, Fitnesskeller. Er ist ein Ort des Versteckens, des Geheimnisses, der Dunkelheit – und des Verbrechens.

Kammerspiele, 15.7. 19.00 Uhr und 22.7. 19.30 Uhr. Tel. 233 966 00, www. muenchner-kammerspiele.de

Veröffentlicht am: 12.07.2012

Über den Autor

Gabriella Lorenz

Gabriella Lorenz ist seit 2010 Mitarbeiterin des Kulturvollzug.

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