"Kleist oder das absolute Ich" im i-camp

Wahnsinn der Freiheit

von Gabriella Lorenz

Erlebte, erlittene, erhoffte Visionen des Kleist (Alle Fotos Ulrich Stefan Knoll)

Im Trippel-Trab tänzelt ein Mann durch den schwarzen, leeren Raum, will dauernd etwas erhaschen wie ein Schmetterlingsfänger. Der Glückssucher erbeutet nur Zettel mit allen möglichen National-Varianten des Namens Katharina. Und landet bei Käthchen - dem von Heilbronn. Des Dichters Heinrich von Kleist, der 1811 eine Freundin und sich selbst erschoss, haben im vergangenen Kleist-Jahr viele Theater mit Aufführungen gedacht. Aber George Froscher forscht in seiner neuen FTM-Produktion „Wahnsinn der Freiheit - Kleist oder das absolute Ich“ im i-camp nach Kleists sexueller Identität - aufgrund von dessen Briefen.

Staunenswert, wie der 85-jährige Regisseur immer noch den Wahnsinn der Freiheit nutzt und mit acht Darstellern seine abstrakt choreografierte Inszenierung mit Power füllt. Der Traum-Tänzler Kleist ist Froschers Protagonist Kurt Bildstein: Die Schlaf-Liebesszene aus dem „Käthchen“ spielt er als komische Solo-Nummer. Die Komik bricht ein Zwischenruf: „Kleist wollte selber das Käthchen sein.“ Davon will der mit 22 noch nichts wissen, traktiert vielmehr seine Verlobte mit  grässlich überheblichen Erziehungsbriefen, auf der Bühne gesprochen von drei Frauen. Die flüchten wie die Braut Wilhelmine, als Kleist sie zur  Bauersfrau machen will. Dann beherrschen Männer die Szene: Je ein Duo kontrastiert den Fantasten mit dem verhassten Militärdrill (fabelhaft lässt sich Martin Petschan ständig aus dem Stand in den Schneidersitz fallen) und seiner  Homoerotik. Die enthüllt sich deutlich in den Briefen an seine Freunde Pfuel und Brockes.

Oberfläche und Abgründe des Heinrich von Kleist

Froscher choreografiert Oberfläche und Abgründe der Offiziersehre in einem physisch aggressiven Zweikampf, der später zur Liebesumarmung wird - versteckt unter einem Lederstück. Alles erlebte, erlittene oder nur erhoffte Visionen des erzählenden Kleist. Zum Handelnden wird er erst beim Doppelselbstmord: Da taumelt und tanzt Bildstein wie zu Beginn - diesmal um drei  Trommelrevolver herum, ehe die Schüsse fallen. Doch Saxophonist Mikhail Khotyakov lässt das Ende dieses in aller Labilität absoluten Ichs fast heiter ausklingen.

i-camp, Entenbachstraße 37,  28., 30., 31. Juli, 20.30 Uhr, Tel. 089/65 00 00 und tickets@i-camp.de

Veröffentlicht am: 30.07.2012

Über den Autor

Gabriella Lorenz

Gabriella Lorenz ist seit 2010 Mitarbeiterin des Kulturvollzug.

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