Heer über Wagner als Hitlers Wegbereiter
Musterknaben der Verfolgungsmaschinerie
Die Ausstellung „Verstummte Stimmen“ erinnert in Bayreuth an von den Nazis verfolgte und ermordete Künstler. Welche Rolle spielten Bayreuth, Chamberlain und Wagner als Wegbereiter Adolf Hitlers, wie gut ist Bayreuths dunkelstes Kapitel aufgearbeitet? Der Kulturvollzug sprach mit dem Ausstellungskurator Hannes Heer.
Sechs Jahre nach ihrem Start ist die Wanderausstellung „Verstummte Stimmen“ in Bayreuth zu sehen. Stellt sich Bayreuth damit seiner Vergangenheit?
Die Einladung kam ja von Bayreuth, und zwar sehr früh, am Tag der Eröffnung 2006 in Hamburg. Da besuchte uns Herr Friedrich als Vertreter von Oberbürgermeister Michael Hohl und lud uns nach Bayreuth ein. Das war ungewöhnlich. Uns wurde von vornherein in dankenswerter Deutlichkeit vermittelt, dass man in dieser Ausstellung die Chance sieht, dass die Festspiele und die Stadt aus dem Schatten der Nazivergangenheit treten, der auf ihnen lastet. Das war das Anliegen von OB Hohl. Wir haben dies Anliegen zu unserem eigenen gemacht, weil es zu dem Bemühen zahlreicher staatlicher Institutionen und privater Firmen passt, ihre Vergangenheit aufzuarbeiten.
Bayreuth, sagte Hitler, habe „das geistige Schwert geschmiedet, mit dem wir fechten“. Wie wichtig war Bayreuth für Hitler?
Heer: Man muss zwei Dinge unterscheiden. Einmal die Zeit, die er in Wien zugebracht hat. Die hat er intensiv genutzt, Wagner zu hören. Das hat ihn für sein Leben geprägt. Die Wagner’schen Dramen sind so angelegt, dass es in ihnen zwei Welten gibt – eine dunkle Welt mit Klingsor, Kundry und Alberich und eine helle, gute Welt mit Siegfried, Brünnhilde, Lohengrin und Tannhäuser. Diese beiden Welten sind von Wagner überdeutlich politisch aufgeladen worden. Die böse Welt war das Judentum, die gute, helle Welt, das war das Deutsche, Christliche, Arische. Hitler hat mit Wagner nicht nur Musik gehört, sondern auch eine Weltsicht übernommen, die zur Entscheidung für oder gegen die Achse des Bösen aufforderte. Das ist das eine. Er hat sicher „Das Judentum in der Musik“ gelesen, weil das die Schrift war, die als zentrales Dokument in der völkischen Bewegung kursierte. Das Zweite hat mit Wagner weniger zu tun. Das Zweite ist Weltanschauung und Ideologie, und da ist Houston Stewart Chamberlain die zentrale Figur ...
... der wegen Wagner nach Bayreuth gekommen war.
Richtig. Der schon, bevor er nach Bayreuth kam, ein enger Vertrauter von Cosima war. Sie war der Auftraggeber für sein Buch über Richard Wagner und seine Muse für sein rassentheoretisches Hauptwerk „Die Grundlagen des 19. Jahrhunderts“. Dieses Buch hat Hitler verschlungen, und darauf bezieht sich auch sein Zitat. Das Schwert, das hier geschmiedet wurde, schmiedete der Wagnerianer Chamberlain. Das sind im Übrigen auch die Ideen, aus denen Rosenbergs „Mythus des 20. Jahrhunderts“ besteht. Das ist fast schon ein Plagiat von Chamberlain.
Hört sich so an, als ob die Nazis selbst gar nicht mehr viel erfinden mussten.
Da haben Sie recht. Chamberlain hat all das, was an rassistischen Theorien im Umlauf war, zusammengefasst, radikalisiert und auf einen klaren Punkt gebracht: der unausweichliche Endkampf um die Weltherrschaft zwischen Juden und Ariern, zwischen kulturzerstörenden und kulturschaffenden Völkern.
Die wahre deutsche Kunst Wagners sollte einen neuen Menschen schaffen. Wie haben wir uns den vorzustellen?
Richard Wagner bewegte sich zunächst innerhalb der revolutionären Strömungen des 19. Jahrhunderts, er erträumte sich eine neue Welt, einen neuen Menschen. Dabei war die Kultur zentrales Momentum, ja, sie ersetzt für ihn die Politik. Dieses Weltbild befand sich aber von Anfang an in Konkurrenz mit der Gegenwart. Und die Gegenwart war Industrialisierung, in Umrissen die Internationalisierung der Welt, Parlamentarismus, Großstädte, Neue Medien und neue Technik, Kapitalismus. Das alles hat Wagner zum Konterrevolutionär gemacht. Sein neuer Mensch ist gegen die Moderne entworfen worden, gegen die Aufklärung, gegen die Realität der Französischen Revolution. Man kann aber die Uhr nicht einfach zurückdrehen. Man landet dann entweder bei sozialistischen Utopien oder man landet in reaktionären Konzeptionen: bei rassistischer Deutschtümelei oder bei großdeutschen Allmachtsfantasien – die zum Ersten und Zweiten Weltkrieg geführt haben. Auffällig ist in diesem Konzept die besondere Rolle der Kunst, die Mission der deutschen Kultur, des Idealismus.
Worauf konzentriert sich Ihre Forschung?
Wir haben drei Aspekte beleuchtet. Zum einen die Geschichte der Festspiele – wir versuchen, an vier Zeitmarken sozusagen die Temperatur zu messen. 1889 mit dem Besuch des Kaisers, als Cosima die Festspiele etabliert hatte, 1912, als der Kampf tobte um die Verlängerung der Schutzfristen für „Parsifal“ und damit das Monopol der Familie Wagner, 1924 die ersten Nachkriegsfestspiele, die zu einem Riesenaufmarsch der völkisch-antisemitischen Bewegung wurden, und 1933 muss ich nicht erklären. Zweitens untersuchen wir die Verfolgungspolitik, die lange vor 1933, mit der Machtübernahme von Cosima einsetzte, mit der Diffamierung von Künstlern und deren Nichtberücksichtigung. Das ist noch nie untersucht worden. Drittens geht es uns um die Künstler, die noch in die nationalsozialistische Verfolgungsmaschinerie gerieten. Es waren immer einige Namen von Opfern im Umlauf, aber wir haben da ein neues, präzises Bild gezeichnet, verlässlich mit Quellen und Fußnoten. In der Konferenz geht es um das Personenensemble von Richard und Cosima Wagner, Siegfried, Chamberlain, der 1908 das Heft in die Hand nimmt, und schließlich auch Winifred. Im Zentrum steht die antisemitische Besetzungspolitik von Cosima und Siegfried.
Wissenschaft ist das eine, Schicksale sind das andere. Welches Schicksal hat Sie besonders berührt?
Es fällt mir aufgrund der Unterschiedlichkeit der Schicksale schwer, diese Frage zu beantworten. Als Beispiel würde ich Edgar Rosé nennen, der Bruder von Arnold Rosé, der als alter Mann deportiert wird aus Weimar und dann ermordet wird. Oder nehmen Sie die Orchestermusiker aus Holland, die nach 1933 in ihre Heimat zurückkehrten und sich dort in Sicherheit wähnten, bis die Wehrmacht dort einmarschierte und auch sie deportiert wurden. Es sind von diesen 53 verfolgten Bayreuther Künstlern, deren Biografie wir recherchiert haben, zwölf ermordet worden, und da bringt Sie jeder Einzelne an den Rand.
Gab es einen Bayreuth-Bonus?
Überhaupt nicht, nicht einmal für die prominenten Künstler. Was ab März 1933 geschah, war nun keine Bayreuther Verfolgung – die gab es vor 1933 –, sondern die hat sich ereignet in den Häusern, aus denen diese Künstler kamen. Etwa durch Heinz Tietjen, der Künstlerischer Leiter in Bayreuth war. Der hatte auch die preußischen Staatstheater unter sich und erwies sich als Musterknabe. Er kam eher aus dem sozialdemokratischen Milieu, hatte jüdische Freunde und meinte wohl, sich als besonders eifrig hervortun zu müssen. Der hat die rabiatesten und ersten Säuberungen von Juden in seinen Häusern in Berlin, Kassel und Wiesbaden durchgeführt. Auf der anderen Seite sorgte er dafür, dass ein paar Prominente, die er noch brauchte, bis 1934 singen durften.
Die Ausstellung „Verstummte Stimmen. Die Bayreuther Festspiele und die Juden 1876 bis 1945“ ist bis zum 14. Oktober 2012 im Rathaus und am Festspielhaus zu sehen.