Hans-Jochen Vogel über Olympia in München

"Mir stehen diese Geschehnisse immer noch deutlich vor Augen"

von kulturvollzug

"Ein Bauwerk von europäischem Rang, das seine Bedeutung bis heute behalten hat" - Olympiapark München im Jahr 2012. Foto: Michael Grill

Ohne ihn hätte es sicherlich keine Olympischen Spiele in München gegeben: Hans-Jochen Vogel, von 1960 bis 1972 Münchner Oberbürgermeister. Heute ist der spätere Bundesminister und SPD-Vorsitzende 86 Jahre alt und einer der wichtigsten Zeitzeugen der Münchner Nachkriegsgeschichte. Im Nachklang zu unserer kleinen Sommer-Serie zum Münchner Olympia-Jubiläum veröffentlichen wir ein Interview mit Vogel, in dem er sich über die Probleme im Vorfeld der Spiele äußert, über die Frage nachdenkt, ob er das olympische Zeltdach heute noch einmal bauen lassen würde und seine Erinnerungen an den "Schwarzen September" beschreibt. (gr.)

Herr Vogel, in Ihrem Buch „Die Amtskette“ sprechen Sie im Zusammenhang mit der Vorbereitung der Olympischen Spiele 1972 von einer „ununterbrochene Nerven- und Geschicklichkeitsprüfung“. Könnten Sie einige der Hindernisse verraten oder einige der Finessen, die zu deren Überwindung angewandt wurden?

In meinem Buch habe ich dafür einige Beispiele genannt. Am schwierigsten war stets der Umgang mit den Staatssymbolen, also der Flagge, der Hymne und dem Wappen der DDR. Noch während der Entscheidungssitzung des IOC im April 1966 in Rom kam aus Bonn dazu eine pointierte Erklärung der Bundesregierung, die erkennbar den Anforderungen des IOC nicht genügte.

Die Ausgangslage war ja doch die: 1966 galt noch die sogenannte Hallstein-Doktrin, nach der die Bundesrepublik international strikt vom anderen deutschen Staat separiert werden sollte beziehungsweise umgekehrt. Wie ist denn das NOK, das Nationale Olympische Komitee, beziehungsweise die Münchner Delegation aus dieser von der damaligen CDU-FDP-Regierung verursachten Zwickmühle herausgekommen?

Hans-Jochen Vogel (hier auf einer Aufnahme von 2006 in seiner damaligen Wohnung in der Münchner Altstadt). Foto: Michael Grill

Der damalige deutsche Botschafter in Rom verhinderte eine unsere Bewerbung gefährdende Krise, die sich daraus hätte ergeben können, indem er die Bonner Erklärung für sich behielt und dann zu den Akten legte. Wir behalfen uns stattdessen mit früheren Äußerungen der Bundesregierung, die so formuliert waren, dass sich das IOC zufrieden gab.

Was waren die Hauptprobleme bei der Realisierung: das Konzept, die Finanzierung, die Sicherheitsfrage, die Zeitfrage?

Alle diese Fragen waren bedeutsam. Am wichtigsten war die Erarbeitung eines Konzepts, das heitere Spiele zum Gegenstand hatte und sich in jeder Hinsicht von dem Konzept der vom NS-Gewaltregime missbrauchten Spiele von 1936 unterschied.

Würden Sie nach allen Erfahrungen und Erkenntnissen noch einmal für eine derartige Architektur stimmen, insbesondere im Hinblick auf die Kostenexplosion beim Dach?

Ja. Es ging um ein Bauwerk von europäischem Rang, das seine überragende Bedeutung bis heute behalten hat. Eine Gesellschaft muss die Kraft aufbringen, dafür auch einmal eine Kostenexplosion hinzunehmen.

Die von den Spielen beglückte Stadt München musste kurz vor der Eröffnungsfeier viel Kritik und Häme seitens großer Medien einstecken. Aus Neid oder warum meinen Sie sonst?

Daran habe ich keine Erinnerung. Jedenfalls haben die örtlichen Medien die Bewerbung um die und die Vorbereitung der Spiele kontinuierlich unterstützt. Dies schloss natürlich Einzelkritik nicht aus.

Welche Erinnerung haben Sie an den schrecklichen Tag im „Schwarzen September“?

Die Geschehnisse dieser Tage stehen mir noch immer deutlich vor Augen. Vor allem auch der Widerspruch zwischen einer frühen Nachricht aus Fürstenfeldbruck, alle Geiseln seien gerettet, und dem späteren wahrheitsgemäßen Bericht, dass alle ihr Leben verloren haben. Übrigens bin ich als deutscher Vertreter am darauf folgenden Tag mit den Särgen nach Tel Aviv geflogen und habe dort an der Trauerfeier auf dem Flugplatz teilgenommen. Das war einer der bewegendsten Momente in meinem Leben.

Ausgerechnet im Jahr dieses Friedensfestes hatte sich der ideologische Streit in der Münchner SPD dermaßen zugespitzt, dass Sie als Oberbürgermeister schließlich das Handtuch geworfen haben. Hat Sie das in Ihren vorolympischen Amtsgeschäften irgendwie behindert?

Es hat mir die Arbeit nicht erleichtert. Aber von „Behinderung“ würde ich nicht sprechen. Auch blieb die SPD-Stadtratsfraktion stets kooperativ.

Waren Sie enttäuscht, dass Sie die Eröffnung der von Ihnen maßgeblich vorangebrachten Spiele nicht mehr als OB erleben konnten?

Nein. Die Spiele haben sich durch die Bewerbung und die Vorbereitung durchaus mit meinem Namen verbunden. Außerdem blieb ich ja auch einer der stellvertretenden Vorsitzenden des Organisationskomitees.

Kaum jemand bezweifelt heute, dass das Jahr 1972 für München weit mehr Vorteile als Nachteile gebracht hat. Wie ist ihr Fazit als Münchner Bürger?

Sehr positiv. Ich nenne nur die Steigerung des weltweiten Bekanntheits- und Beliebtheitsgrades einer Stadt, die noch siebenundzwanzig Jahre zuvor den Titel einer „Hauptstadt der Bewegung“ trug und nicht selten mit dem KZ in Dachau in Verbindung gebracht wurde. Und die Strukturverbesserungen, die wegen der Spiele wesentlich rascher als zuvor geplant realisiert werden konnten.

Würden Sie eine erneute Bewerbung Münchens für Olympische Spiele zu einem späteren Zeitpunkt für ratsam halten? Wenn ja, sollten die Bürger mehr Einfluss auf die Entscheidungsfindung im Ganzen oder bei wichtigen Details bekommen? Und sollte das für die Kommunalpolitik überhaupt gelten?

Das kommt auf die jeweilige Konstellation, also etwa auf die Mitbewerber, und die Vergabe der vorausgegangenen Spiele an. In jedem Fall sollte der Bewerbung in München und in den anderen beteiligten Gemeinden ein Bürgerentscheid vorangehen. Das hat Christian Ude ja auch bereits angekündigt. In der Kommunalpolitik steht den Bürgern und den Stadträten in Bayern schon seit längerem das Instrument des Bürgerbegehrens und des Bürgerentscheids zur Verfügung. Damit können sie auf die Entscheidungsfindung jederzeit Einfluss nehmen.

Interview: Karl Stankiewitz

Veröffentlicht am: 03.09.2012

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