Wiebke Puls über "Orpheus steigt herab"

"Es sind zwei Opfer, die sich mit unheimlichen Reibungen annähern"

von Gabriella Lorenz

Risto Kübar, Wiebke Puls, Christian Löber (von links). Foto: Julian Röder

Eine Lady ist sie nicht, sie heißt nur so. Mit Vornamen. Lady ist die italienische Frau des weit älteren Dorf-Tycoons Jabe Torrance und führt in dem Südstaaten-Kaff Two River County (Zweistromland!) einen Kramerladen. Autor Tennessee Williams schickt ihr einen fremden jungen Mann mit Schlangenleder-Jacke und Gitarre zu Hilfe. Val erweckt die seelisch verhungerte Lady zu neuem Leben - wie einst Orpheus mit Lyra und Gesang seine tote Eurydike. Wer den Mythos kennt, weiß, dass das nicht gut ausgeht. Ein Interview mit Wiebke Puls, die in "Orpheus steigt herab" in den Kammerspielen die Lady spielt.

Tennessee Williams hat die Lady für Anna Magnani geschrieben. Die konnte aber wegen mangelnder Englisch-Kenntnisse nicht die Uraufführung am Broadway spielen. Sidney Lumet hat das Stück 1959 mit Anna Magnani und Marlon Brando verfilmt, doch „Der Mann mit der Schlangenhaut“ blieb auf der Leinwand ebenso ein Flop wie die Vorlage „Orpheus steigt herab“ auf der Bühne. Mit diesem selten gespielten Drama von Tennessee Williams aus dem Jahr 1957 eröffneten die Kammerspiele am Samstag (29.9.12) ihre Jubiläums-Saison zum 100-jährigen Bestehen des Hauses. Sebastian Nübling inszeniert. Die 38 Jahre alte Wiebke Puls stammt aus Husum und spielte unter anderem in Hannover, Hamburg und Worms. Seit 2005 gehört sie zum Ensemble der Münchner Kammerspiele.

Frau Puls, Sie spielen in Nüblings Regie seit 2010 auch die Blanche in „Endstation Sehnsucht“. Da wird eine Großbürgerin am Proletariat verrückt. In Two River County geht's viel höllischer zu als im mythologischen Hades. Und am Ende sind zwei Fremde tot.

Das ist die Südstaaten-Gesellschaft der 50er-Jahre, wie sie Williams auch in „Endstation Sehnsucht“ beschrieben hat. Es ist das Sittenbild einer selbstgerechten Gesellschaft, die Fremde frisst, um sie wieder auszuspeien. Fremde haben keine Chance, integriert zu werden. Diese Gesellschaft outet sie und lässt sie dann nicht aus den Klauen. Sie liebt nichts mehr, als sich aufzugeilen am Hass auf Fremde, wobei der Abscheu Hand in Hand geht mit extremer Neugier.

Der Neuankömmling Val zieht natürlich alle Aufmerksamkeit auf sich. Aber Lady lebt schon lange hier. Ihr italienischer Vater kam ums Leben, als man sein Weingartenlokal abbrannte.

In das alle kamen, um sich schön zu saufen und dann rumzufummeln. Diesen Garten abzufackeln war das herrlichste Feuerwerk. Lady ist seitdem eine assimilierte Fremde, fast eine Geisel der Gesellschaft. Sie ist nicht geflohen - sie hat sich vom Tycoon kaufen und mafiös beschützen lassen. Kann ein Opfer, wenn es seine eigene Haut zu schützen versucht, zum Verräter werden? Diese Frage interessiert mich, unter anderen. Jetzt ist Lady ein gebranntes Kind, eine kontrollierte Außenseiterin - aber durch ihre Heirat im stillen Auge des Orkans.

Der Fremde Val lässt sich nur widerstrebend auf Ladys Avancen ein. Sieht sie in ihm einen Erlöser, der sie rausholt?

Für uns ist das keine klassische Liebesgeschichte, sondern die zweier ziemlich gebeutelter Gesellschaftsopfer, die erst langsam erkennen, was der andere sein könnte. Sie nähern sich mit unheimlichen Reibungen an und verpassen sich immer wieder, statt sich zu bestätigen. Sie erkennen einander lange nicht, weil sie so beschäftigt sind mit ihrer Selbstbehauptung. Die Einsamkeit ist ein gewohnter Zustand geworden, so dass sie sich nichts anderes mehr vorstellen können.

Aber Lady hat sehr wohl Zukunftspläne für diesen Ort.

Sie arbeitet schon eine Weile subversiv. Als der Fremde kommt, gerät sie zwischen die Fronten. Betreibt sie weiterhin ihre Mimikry oder kommt sie aus der Deckung? Was sie plant - die Bar als Denkmal für ihren Vater - hat Sprengkraft bezüglich der Machtverhältnisse, entspringt aber auch ihrer Sehnsucht, eine verlorengegangene Identität wieder zu beleben.

Sebastian Nübling hat in „Three Kingdoms“ letztes Jahr mit deutschen, englischen und estnischen Schauspielern gearbeitet. Der Este Risto Kübar hat darin als singender Trickster das Publikum begeistert. Er spielt jetzt den Fremden Val. Wie geht das mit den verschiedenen Sprachen?

Risto Kübar spricht auf der Bühne Deutsch, das hat er auf bewundernswerte Weise phonetisch gelernt, und gelegentlich Englisch und Estnisch. Wenn man den Fremden mit einem Fremden besetzt, muss man mit einem unüberhörbaren Akzent natürlich offensiv umgehen. Die Proben laufen auf Englisch ab. Das ist für alle eine Herausforderung, denn in einer Fremdsprache verständigt man sich nicht im Nullkommanix. Unsere Arbeit ist in vielerlei Hinsicht ein ständiger Akt der Übersetzung.

Sie sind auch Musikerin, Songwriterin, Sängerin - warum sieht und hört man Sie hier so selten in dieser Funktion?

In Hamburg habe ich mitunter mehr Musik als Theater gemacht. Hier vor allem als Schauspielerin gesehen zu werden, ist zwar schmeichelhaft - Musik macht mir dennoch die größte Freude und ich bin dankbar für jede Gelegenheit, dieses Glück teilen zu dürfen.

Kammerspiele, wieder heute am Sonntag (30. September) und am 6. Oktober 2012, 19.30 Uhr, Tel. 089/ 233 36 900

Veröffentlicht am: 30.09.2012

Über den Autor

Gabriella Lorenz

Gabriella Lorenz ist seit 2010 Mitarbeiterin des Kulturvollzug.

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