Barbara Wysocka mit Büchner/Berg im Werkraum

Woyzeck im Wasser

von Michael Weiser

Idealbesetzung: Kristof Van Boven als Woyzeck. Foto: Julian Röder

Dieses Experiment fällt nur scheinbar ins Wasser: Barbara Wysocka steckt Büchners Fragment mit Alban Bergs "Wozzeck-Musik" unterlegt als "Woyzeck/Wozzeck" erfolgreich ins Plantschbecken. Im Werkraum der Kammerspiele ist mit Kristof Van Boven und seinen Mitspielern ein Ensemble zu sehen, das diese Kombination in trockene Tücher bringt.

Es könnte darunter ein Abgrund gähnen, von den Freimaurern ausgehölt, wie der verwirrte Franz Woyzeck ohnehin argwöhnt; es könnte glitschig sein oder irgendetwas auf dem Grunde lauern, wer weiß das schon immer, sicher ist nur eines: dieser Spielgrund ist unsicher, es ist ungemütlich auf ihm, er ist nicht greifbar. Das Wasser narrt die Augen und hemmt den Schritt. Der Tanz der Wellen wirft Reflexe an die Wand, ein Kaleidoskop, die Wirklichkeit zerfällt bei jeder Bewegung in die Splitter eines Spiegels.

Kristof Van Boven als Woyzeck (Foto: Julian Röder)

Regisseurin Barbara Wysocka hat ihren "Woyzeck" wie eine Experimentieranordnung ins Geviert eines Plantschbeckens gestellt, das ein Drittel des Werkraums ausfüllt. Wer was zu sagen hat, befindet sich meistens auf dem Rand des Beckens, das der Doktor zum Beispiel nur ein einziges Mal betritt.

Auf dem Rand sind auch die drei Musiker postiert, die Büchners Textfragment mit einem Exzerpt von Alban Bergs "Wozzeck" verweben: Tobias Weber (Viola), Tatjana Zivanovic-Wegele (Celesta und Melodika) und Anno Kesting (Schlagwerk). Die von Janek Duszynski bearbeitete Musik spielt die zentrale Rolle in Wysockas Regiekonzept. Alban Bergs Partitur ist das Gewebe, die Büchners Textfragmente verbindet; für die handelnden Figuren wie auch für die abstrakte Ebene der Macht ist sie eine Art erweiterter Sprache; und sie entzieht den Woyzeck endgültig den Deutungsmustern einer Kriminalgeschichte und stellt ihn mitten ins offene Drama.

Böses Spiel: Stefan Hunstein als Tamboumajor, Marie Jung als Marie. Foto: Julian Röder

Es geht nur noch um Gesellschaft und Macht, es geht um das Verhältnis des Individuums zu den Umständen, die es nicht  beeinflussen kann. Der Drahtzieher im ganzen Spiel ist der Doktor, der als einziger die Originalpartie von Berg singt: als Kopf- und Kulturmensch befleißigt er sich der Kunstsprache der Musik, die überdies seine Souveränität in der Bedienung des Machtapparats symbolisiert. Schließlich ist schon in der Antike die Musik Ausdruck jener Regeln, die die Dinge im Innersten zusammenhalten. Die Musik, aufmerksam und präzis gespielt, macht Wysockas Inszenierung zu einer atmosphärischen Rekonstruktion des Büchnerschen Szenenkonvoluts.

Ein Ereignis ist dieser "Woyzeck/Wozzeck" auch wegen der Klasse der Schauspieler, allen voran Kristov Van Boven - Idealbesetzung für Franz Woyzeck. Es habe Spaß gemacht, mit diesen guten Schauspielern zu arbeiten, erklärt die Regisseurin hinterher, mit Marie Jung (als Marie Zickwolf), Tobias Hagge (Doktor), Stefan Hunstein (Tambourmajor), Oliver Mallison (Andreas) und Stefan Merki (Hauptmann). Ein Urteil, das die Premierenzuschauer hörbar geteilt haben: Langer Beifall für Regie und Ensemble, Jubel für Van Boven.

Weitere Vorstelllungen im Werkraum der Kammerspiele am 7., 8., 13. und 15. Oktober

Veröffentlicht am: 04.10.2012

Über den Autor

Michael Weiser

Redakteur, Gründer

Michael Weiser (1966) ist seit 2010 beim Kulturvollzug.

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