Jürgen Drews über seine späte Karriere als Autor
"Die Seele hinterlässt ein lebendiges Echo"
Professor Jürgen Drews (79) verbrachte sein Leben als leitender Manager in der Pharmaindustrie. Der gebürtige Berliner war Forschungsleiter bei Sandoz, danach viele Jahre lang internationaler Forschungsleiter bei Hoffmann-LaRoche in den USA. Heute, im Ruhestand, schreibt er – ausgerechnet – philosophische Romane. Kulturvollzug besuchte ihn in Feldafing, wo er mit Frau Helga und Langhaar-Schäferhund Jonas eine geräumige Villa bewohnt.
Kulturvollzug: Herr Drews, warum schreiben Sie Romane?
Jürgen Drews: Ich habe schon während meines Berufslebens mit Vergnügen mehr als 300 wissenschaftliche Arbeiten geschrieben, darüber hinaus auch Artikel für die FAZ, die Neue Zürcher Zeitung und andere Zeitungen. Doch in den 90er Jahren kam überfallartig das Bedürfnis, meiner Emotionalität mehr Raum zu geben. Ich fing mit Gedichten an, da sie nicht so zeitaufwändig sind. Als ich 1998 die Leitung der Forschung bei Hoffmann-La Roche aufgab, kam der erste Roman.
Ihr großes, immer wiederkehrendes Thema ist das Verstreichen der Zeit und die Erinnerung. In Ihrem jüngsten Werk „Wendelins Traum“ etwa durchstreift der im Koma liegende Protagonist wichtige Orte und Ereignisse seines Lebens. Haben Sie viel an Gedächtnismedikamenten und Psychopharmaka geforscht?
Als Forschungsleiter bei Roche hatte ich natürlich auch mit Psychiatrie und Psychologie zu tun. Speziell mit den Funktionen der Erinnerung habe ich mich zuletzt in meiner Doktorarbeit beschäftigt. Mein Feld war die innere Medizin und als Forschungsgebiet die Molekularbiologie. Ich denke, Erinnerung ist nun mal das Thema meiner Generation. Wir waren damals wach genug, um das Elend des Zweiten Weltkriegs und der Nachkriegsjahre mitzuerleben, viele sind ohne Väter aufgewachsen. Gerade im jungen Alter geht man starke Bindungen ein an Menschen, auch an Orte. Bei mir war das verlorene Paradies ein kleiner Ferienort: Saalberg im Riesengebirge. Mit meiner Mutter und einer Schwester blieb ich dort 1943 bis 1945. Alles, was ich dort erlebte, war wichtig und prägend. Es ist meine ideelle Heimat. Andere Orte und die dazu gehörigen Zeiten erlebte ich mit ähnlicher Intensität. So ist das Erleben der Zeit in mein Schreiben hinein gekommen.
Haben Sie ein besonders gutes Gedächtnis?
Ja, vielleicht. Für Orte und Begegnungen. Aber nicht für Jahreszahlen!
Ihr Protagonist Wolfgang Wendelin vertritt die These, dass das, was wir die unsterbliche Seele nennen, nichts anderes ist als das Erinnerungs- und Wahrnehmungsvermögen des Gehirns. Ist das auch Ihre These?
Das Gehirn ist ein Wunderorgan, das es uns ermöglicht, die Vergangenheit zu deuten und Ereignisse mit Gefühlen auszustatten. Das Panorama des Bewusstseins entsteht einzig im Gehirn, das ist auch meine These. Das ist aber kein Herabsetzen der Seele. Schließlich wissen wir noch sehr wenig über das Gehirn. Wir wissen, welche Areale bei welcher Tätigkeit aktiv sind. Aber wie unser Ich-Bewusstsein entsteht, oder etwas so Fantastisches wie eine Sinfonie – das können wir mit den Erkenntnissen der Wissenschaft noch nicht erklären.
„Wendelins Traum“ endet damit, dass Wendelins Seele, die den Körper verlassen hat, vom Erzengel Gabriel an den ihr bestimmten Ort kommandiert wird. Lassen Sie damit doch eine Möglichkeit offen, dass es mehr gibt als das Gehirn?
Wie schon der Titel sagt: Wendelin träumt. Sein Gehirn produziert den geregelten Ablauf im Jenseits, den er durch seine Erziehung verinnerlicht hat. Ich bestreite aber nicht, dass die Seele nach dem körperlichen Tod überlebt: Was einer tut und hinterlässt, wirkt auf Andere. Die Seele hinterlässt ein lebendiges Echo.
Schreiben Sie auch deshalb Romane? Um ein Stück Unsterblichkeit zu gewinnen?
Ich war immer bemüht, Dinge von Dauer zu tun, auch bei Hoffmann-LaRoche. Ich habe den Kauf der Firma Genentech vorangetrieben, heute Roches profitabelster Zweig. Und ich habe die PCR-Technik in die Hände von Roche gebracht. Ein ganz entscheidendes Patent.
Dafür stellt Ihnen die breite Öffentlichkeit aber keine Statue auf.
Nein, natürlich nicht. Aber zurück zu Ihrer Frage: Die Sehnsucht nach dem Überdauern des Selbst ist uns wohl in die Wiege gelegt – uns und allen anderen Geschöpfen. Sie ist so etwas wie ein Motor der Evolution.