John-Cage-Uraufführung beim Dance-Festival
Bizarre Harmonie der 50er Jahre
Von den Dance-Kuratoren war fürs Festival unbedingt eine Münchner Produktion gewünscht. Also stellten Nina Hümpel und Dieter Buroch den ansässigen Choreografen eine Aufgabe: Anlässlich des 100. Geburtstages von Komponist John Cage sollten sie seine "Sixteen Dances" von 1951 neu interpretieren. Vier Choreografen gewannen die Audition mit ihren Vorschlägen – das gemeinsame Ergebnis kam jetzt im Schwere Reiter zur Uraufführung.
Zwei Frauen, zwei Männer und deren Verhältnis zu einander, das ist die Ausgangskonstellation aller vier Künstler. Als erstes stürmen die Preppy-Leute von Ludger Lamers die breite Tanzfläche: Paare in großbürgerlicher Tenniskleidung, die Cages Instrumentalketten mit schicken Sportgeräten akzentuieren. Der Herr schwingt Gymnastikkeulen, die Dame einen Reifen; Leni Riefenstahls Olympiabilder sind ihnen, scheint's, ein Begriff. Statt sich selbst und ihre perfekten Körper zu salben, suchen die Akteure aber den Weg zueinander. Die Damen hängen sich an die Herren, man klebt oft eng zusammen, alle bilden ein spannungsgeladenes Team. In einer Start-up-Firma könnte es nicht energiegeladener flutschen, das Leben ist ein Incentive.
Lamers' angestrengte Spannung wird von keinem der anderen drei Choreografen erreicht. Stefan Dreher etwa lässt seine Paare – eines in Falschkleidung aus umfunktionierten Hosen und Pullis, eines in "richtigem" Yogachic – wie Zombies aneinander vorbei traumtänzern. Monica Gomis' Protagonisten hüpfen in lustigen Motto-T-Shirts ("Take it easy") herum, als liefe nicht John Cage im Hintergrund, sondern DJ Zebra, wobei eine von ihnen nichts anderes tut als ein Paket zu schnüren. Und richtig: Zuletzt legen die drei Hupfdohlen Ohrenstöpsel ab, sie sind im falschen Film.
Einzig Katrin Schafitels Solo in Carolin Finns vier Tänzen rüttelt wach. Als eine von vier Akteuren in lächerlichen Mustersocken ist sie wie zwanghaft auf ihre Füße und den Boden fixiert, kann sich nicht lösen von ihren zuckenden, neurotischen Gliedern, und sucht doch die Nähe zu den anderen. Sie müht sich ab, als würde sie von einem Elektromagneten fortgezogen. Dass sie zuletzt tatsächlich per Handschlag im Kreis der anderen Socken aufgenommen wird, hätte keiner gedacht.
Was soll man aus einer 60 Jahre alten Provokation groß machen? Cages Klavier-, Trompeten- und Paukencrescendos wirbeln heute längst nicht mehr so viel Staub auf. Lamers', Drehers, Finns und Gomis' Kreationen konzentrieren sich also klugerweise ganz auf die musikalische Interpretation, decken durch menschliche Bewegungen Harmonien auf, finden den roten Faden in dem Werk. "Sixteen Dances" ist ein musikalisches Verdienst und ein Geburtstagsgeschenk, nicht unbedingt eine choreografische Glanzleistung.