Erna Omarsdottir bei Dance 2012

Alle meine Monster

von Isabel Winklbauer

Mutter Monster säugt ihre Kinder (Bild: Bjarni Grimsson)

Eine Revolution in der Horrorsparte kündigt sich schon länger an. Das Publikumsinteresse an Folterpornos wie "Saw" stagniert, zudem rief Drew Goddard dieses Jahr mit "The Cabin in the woods" alle Ausgeburten der Hölle zur Inventur auf den Plan. "Wovor fürchten wir uns wirklich?", müssen wir uns fragen. Eben damit beschäftigt sich auch die Isländerin Erna Omarsdottir mit "we saw monsters" bei Dance. Sie holt die Ausgeburten des menschlichen Hirns auf die Tanzfläche. Das tut sie immens laut und haut dabei mit der Faust ins Auge. Streckenweise ist das schockierend, jugendfrei auf keinen Fall - aber im Innersten beunruhigend ist es auch nicht.

Durch den Abend führt ein unheimliches Zwillingspaar (Lovisa Gunnarsdottir, Sigridur Nieldottir), ähnlich den ermordeten Mädchen in Kubricks "Shining". Sie verrenken sich wie Ellen Burstyn im "Exorzisten", krabbeln wie Geistermädchen aus "The Ring", verzerren ihre Gesichter wie Edvard Munchs "Schrei". Tänzerisch ist das plakativ, aber eben geklaut. Neben den Zwillingen bevölkern noch mehr Monster kreischend, headbangend und tobend die Szenerie: ein mörderischer Arzt, ein Transvestit, der Tod höchstselbst. Und Omarsdottir figuriert als schwer psychotische Mutter im Nachthemd. Sie ist die Wurzel von allem Monströsen, als Erzählerin und als Gebärende.

Doppelgängermotiv: Ermordete Zwillinge suchen den Zuschauer heim (Bild: Bjarni Grimsson)

"Es war einmal eine Frau, die keine Kinder bekommen konnte", erzählt sie, "also schnitt sie einer Hochschwangeren den Fötus aus dem Leib". Aus dem Baby wird ein strahlender, erfolgreicher Arzt, der sich auf Zwillingsforschung spezialisiert. Er zieht Zwillingsmädchen groß wie seine eigenen Kinder, um eines Tages die eine mit einer schweren Krankheit zu infizieren. Nachdem er beide getötet hat, autopsiert er bahnbrechende neue Forschungsergebnisse aus den Mädchenkörpern...

So reiht Mutter Erna eine Horrorgeschichte an die andere. Sie haben etwas gemeinsam: Das Monströse entsteht immer in frühester Kindheit oder Jugend, wächst meist aus der Beziehung zwischen Eltern und Kindern. Wie im Fall des Jungen, der täglich vor dem Einschlafen verprügelt wurde, und als Erwachsener jungen Männern Arme und Beine abschneidet, um im Moment ihres Todes mit ihnen Sex zu haben. Oder des missachteten, gemobbten Mädchens, das seinen Eltern die Herzen herausreißt. Omarsdottir selbst war schwanger, als sie das Stück erfand, was viel erklärt. Die Angst vor einem Doppelgänger, Furcht vor dem Verlust von Körperteilen, auch die Angst, eine Horrormutter zu sein, sind charakteristisch für diesen Zustand.

Omarsdottirs Charaktere schwelgen im Geschrei, in abgerissenen (Gummi-)Gliedern, wühlen im Blut. Sie treiben Inzest, beißen der Mutter die Brustwarzen ab, masturbieren mit der Sense des Sensenmannes. Einfach alles muss her. Der Zuschauer hört vom Rothenburger Menschenfresser, der Penisse abtrennt und brät, oder von einem gewissen jungen Mann, der aus verletztem Künstlerstolz die blutigste Performance aller Zeiten lieferte und sechs Millionen Unschuldige tötete. Die Anhäufung gleitet ins Lächerliche ab, ist zu laut (Omarsdottirs Partner Valdimar Johansson ist Death-Metaller und trägt seinen Teil zur Inszenierung bei), dauert zu lang. Wenn in "Cabin in the woods" die Monster aller Zeiten aus dezent klingelnden Aufzugtüren kommen, stockt einem 20 Mal mehr der Atem.

Der Tod (V. Johansson) spielt mit dem Leben (A. Magnusson) (Bild: Bjarni Grimsson)

Eine ergreifende Szene gibt es aber doch. Valdimar Johansson als Tod und Asgeir Magnusson als Halbgott in Weiß zeigen einen Danse Macabre, in dem das Opfer sich von einer fast zärtlichen Sense wiegen, führen, verführen lässt. Der Tod spielt mit dem Menschen, sein ganzes Leben lang. Darüber sollte man sich keine Illusionen machen. Mitten im Leben sind wir dem Tod am nächsten, diese Idee hätte Omarsdottir vielleicht intensiver verfolgen sollen. Vielleicht wäre sie aber auch für die Künstler und Zuschauer unendlich schwerer zu ertragen als Geschrei und Blut.

Veröffentlicht am: 05.11.2012

Über den Autor

Isabel Winklbauer

Redakteurin

Isabel Winklbauer ist seit 2011 Mitarbeiterin des Kulturvollzug.

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