32. Festival der Filmhochschulen in München
Die Stimmungsmacher von morgen
Schicksalsträchtige Gänseblümchen, platte Nasen, eine Demonstration in Tel Aviv und ein schaukelndes Mädchen - Szenen aus den Werken junger Regisseure. In München traf sich der internationale Filmnachwuchs beim 32. Festival der Filmhochschulen.
Wer kennt nicht aus seinen eigenen Jugendtagen jene infantilen Spiele, das Schicksal herauszufordern. Zum Beispiel reißt man einem Gänseblümchen die Blätter nacheinander einzeln aus und murmelt dazu gleichzeitig die stereotype Beschwörungsformel: "er/sie liebt mich - er/sie liebt mich nicht!"
Ähnlich agiert der Teenager Itamar. In der Hoffnung dem Mädchen zu begegnen, das er anhimmelt, nimmt er mit seiner Familie an der großen Friedensdemonstration in Tel Aviv teil. Nach missglücktem Annäherungsversuch versucht er mit sechs Bissen einen Hamburger zu verschlingen. Er weiß, dass etwas Schlimmes passieren wird, hält sich nicht an seine eigenen Spielregeln. Unprätenziös und in leisen Tönen verwebt Michael Alalu eine fast banal anmutende Geschichte mit dem politischen Weltgeschehen von 1995: Der Ermordung des israelischen Präsidenten Rabin. Sein Abschlussfilm "How I killed Rabin" wurde gleich zwei Mal ausgezeichnet. Zu Recht erhielt der 31-jährige israelische Filmemacher den in diesem Jahr erstmals für den originellsten Film von der eigenen Jury ausgelobten Wolfgang-Längsfeld-Preis (in Erinnerung an den im Februar dieses Jahres verstorbenen Gründer und Leiter des Festivals bis 2002, der die jungen Regisseure zur Entwicklung einer eigenen Künstlerhandschrift immer wieder ermutigte). Zugleich wurde Alalu auch der Preis für das beste Drehbuch, der Luggi Waldleitner-Preis überreicht.
Eine Woche Weltkino. Eine Woche junges, lebendiges Filmschaffen am Puls der Zeit. Was Nachwuchsregisseure aus aller Welt vorwiegend dem Branchenpublikum in der vergangenen Woche geboten haben, war Kinovergnügen auf sehr hohem Niveau. Selten war das Programm, das in zehn Filmblöcken mit jeweils fünf Kurzfilmen aus insgesamt 22 Ländern in zwei Durchläufen im Filmmuseum gezeigt wurde, so hochkarätig, experimentell und weit entfernt vom Mainstream, wie beim diesjährigen 32. Internationalen Festival der Filmhochschulen. Viele Filme waren preisverdächtig. Durchgesetzt haben sich jene, die maßgeschneidert für die jeweilige Ausrichtung der Preise erschienen.
Der Hauptpreis für den besten Film, der so genannte "VFF Young Talent Award", ging am Samstagabend (17. November) an den finnischen Beitrag "So it goes" von Antti Heikki Pesonen. Auch hier geht es um Liebe und einen Mord. Nur ist dieser tragikomische Diplom-Film, der in seiner lakonischen Art nicht weniger das Herz berührt, in einer viel düsteren Tonlage gestimmt. Dem ungleichen Paar - Heze, der aus geordneten Verhältnissen stammt, und die viel ältere Elli, die sich die Frage stellt, ob sie den Jungen benutzen soll - bleibt nach einem kurzen Verwirrspiel der Gefühle die Aussicht auf ein Happy End versagt.
Den Prix Interculturel für Verdienste um den interkulturellen Dialog erhielt Talkhon Hamzavi von der Zürcher Hochschule der Künste für ihren Film "Parvaneh" über eine junge Afghanin, die in der Schweiz in einem Durchgangslager für Asylbewerber lebt. Um ihrer Familie Geld zu schicken, reist sie eigens nach Zürich, wo ungewöhnliche Begegnungen sie erwarten.
Und was macht ein Mädchen im süßen Teenageralter, wenn sie von ihrer Mitschülerin an ihrem Geburtstag erfährt, dass ihre Nase ein Schönheitsmakel ist und ihrem Großvater daraufhin die richtigen, trostspendenden Worte nicht glücken wollen. Nur einer reagiert in der Situation goldrichtig: es ist ihr plattnäsiger Hund im Halloween-Kostüm, der intuitiv mit der Pubertierenden mitzufühlen scheint. Für seinen Film "Life doesn't frighten me" erhielt der Kanadier Stephen Dunn den Arte-Preis für den besten Kurzfilm.
Insgesamt wurden elf junge Filmemacher mit Preisen im Wert von mehr als 50.000 Euro ausgezeichnet. "Die meisten der Vorstellungen waren komplett ausverkauft", so die Festspielveranstalterin Diana Iljine, die sich über die Auslastung von sagenhaften 98 Prozent freute.
Neben den fiktionalen Filmen wurden auch Animationen und Dokumentarfilme gezeigt. Nah dran am Menschen ist Matthias Stoll von der Kunsthochschule für Medien Köln in seiner Dokumentation "Sterben nicht vorgesehen". Auf sehr persönliche und anrührende Weise hat sich der Filmemacher mit dem Tod seines Vaters auseinandergesetzt. Für diese Hommage wurde er mit dem ARRI-Preis für den besten Dokumentarfilm ausgezeichnet.
Die rundherum gelungenste Animation wurde im Sonderwettbewerb zum Thema Klimawandel gezeigt. Leider wurde Isa Micklitzas präzis auf den Punkt gebrachter künstlerischer Beitrag "Climate change is non fun" bei der Preisverleihung nicht berücksichtigt. Das den ganzen Weltschmerz ausdrückende, unschuldig schallende Gelächter eines kleinen Mädchens auf einer Schaukel, das nicht bemerkt, wie die Welt und sie selbst in nur 1:40 Minuten Filmzeit zerbrechen, hätte es allemal verdient.