Herbert Fritsch mit Gogols "Revisor" am Resi
Bunter Sex in hübscher Stilisierung
Das Beste ist die Applausordnung. Da reißen die Musik und das Getänzel der Schauspieler alle Zuschauer so mit, dass keiner mehr Buh schreien mag. Theatermacher wissen, dass eine effektvolle Applausordnung die halbe Miete ist. Herbert Fritsch hat das perfektioniert und zum Markenzeichen gemacht: Im München ließ er sich beim Premieren-Beifall von den Schauspielern überrennen und verschwand im Pulk, ehe er sich wieder aufrappelte. Alles sorgsam inszeniert. Das Publikum jubelte. Nur Bravos, kein Buh. So ist Herbert Fritsch, der mit seinen entfesselten Extemporés lange der Schauspieler-Star an Frank Castorfs Berliner Volksbühne war und seit einigen Jahren seinen Spaß-Terrorismus höchst erfolgreich auch als Regisseur verbreitet, nun angekommen und weich gelandet im Münchner Residenztheater. Er inszenierte Nikolai Gogols satirische Komödie „Der Revisor“ aus dem Jahr 1836 so schrill, grell und grotesk, wie man es von ihm erwartete.
Die Honoratioren der Kleinstadt, die Angst haben vor dem staatlichen Revisor, sind fahlgeschminkte Zombie-Lemuren. Bürgermeister (Aurel Manthei) und Richter (Miguel Abrantes Ostrowski) liefern sich ein Anspuck-Duell, der Schulrat (Jörg Lichtenstein) verirrt sich in wirren Reden, die Nachrichten-Zuträger (Robert Niemann, Johannes Zirner) geben die Zwillings-Komiker. Dieses Kuriositäten-Kabinett ist für jeden Slapstick gut ist. Der vermeintliche Revisor - ein pleite gegangener Student - , wird mit allen Mitteln hofiert und bestochen. Und Chlestakow (Sebastian Blomberg), ein arroganter Macho im pinkfarbenen Anzug. nimmt das gerne mit. Mit seinem Diener Ossip (Stefan Konarske in gelben kurzen Hosen) ist er ein schwules Pärchen, stürzt sich aber sofort auch auf die willigen Damen. Die sind kreischende Tüllwolken: Bonbonrosa die Bürgermeistersfrau (Barbara Melzl), kanarigelb ihre Tochter (Britta Hammelstein). Beide lassen sich ohne Umstände die Beine spreizen, es darf nach Herzenslust gerammelt werden. Hier wird sowieso alles sexualisiert - allerdings immer in hübscher Stilisierung ohne peinliche Nacktheiten.
Es regnet Bestechungsgeld auf den falschen Revisor - aus einem Mantel gefallen, in immer größeren Stapeln herbeigetragen, und buchstäblich aus dem Schnürboden. Da kann Chlestakow drin baden wie Dagobert Duck in seinen Goldtalern.
Fritsch entwarf eine Gassenbühne aus gestaffelten Plastikfolien in Hausform - die lässt sich toll beleuchten und erlaubt einem stummen Chor grüngesichtiger Menschen (das Programmheft identifiziert sie als Kaufleute) surreal Auftritte.
Star ist natürlich natürlich Sebastian Blombergs Chlestakow. Der ist - eigentlich an Gogol vorbei, der ihn ja als kleines Würstchen zeichnet - hier von Anfang an der skrupellose Hahn im Korb. Wenn er mit nackten Oberkörper den Bodybuilder gibt, Posen und Leibesübungen vorführt und schließlich aus seinem Kunstpenis gar noch ein Feuerwerk entzündet, das in einer Flamme verzüngelt, ist die Überraschung gelungen.
Ansonsten darf jeder im artifiziell stilisierten Gehampel und Gestrampel einmal die Rampensau spielen.
Residenztheater, 31. Dez.2012, 1., 5., 13., 19., 25. Jan., 3. Feb.2013, Tel. 2185 1940