Ausstellung zum Wagner-Jubiläum

Schulden, Skandale, Schweinehunde - Die Münchner Jahre des Komponisten

von Karl Stankiewitz

Kleine Schweinehund-Zeichnung in der Liste der Aufführungsvermerke einer Hornstimme zum Fliegenden Holländer (c) Bayer. Staatsbibliothek

In Paris hatte er einen Theaterskandal ausgelöst. Aus Riga und Wien war er mit Schulden geflohen, zuletzt in Frauenkleidern getarnt. Derlei Kolportagen kümmerten den 18-jährigen, kunstverrückten König wenig, war Wagner doch „der einzige Quell meiner Freuden von meinem zarten Jünglingsalter an“. Schon den Zwölfjährigen hatte „Das Kunstwerk der Zukunft“ hellauf begeistert. Ausgestellt ist dieses Buch von Richard Wagner – neben 36 teilweise noch unveröffentlichten Briefen, Grafiken, Partituren, Bühnenbildern, Karikaturen und Fotografien - anlässlich des Wagner-Jubiläums in der Bayerischen Staatsbibliothek.

Am 14. April 1864, unmittelbar nach der Thronbesteigung, ließ Ludwig II. den 51-jährigen Richard Wagner vom Kabinettssekretär Franz von Pfistermeier nach München rufen. Kaum war der „Ballettdirektor“ - wie August Becker den Komponisten in seinem Schlüsselroman „Vervehmt“ nennt - am 4. Mai 1864 zur Audienz erschienen, spielte er sich mächtig auf. Immerhin versprach ihm sein Gönner schon am nächsten Tag in einem schwärmerischen Brief: „Seien Sie überzeugt, ich will alles tun, was irgend in meinen Kräften steht, um Sie für vergangenes Leid zu entschädigen, die niederen Sorgen des Alltagslebens will ich von Ihrem Haupte auf immer verscheuchen, die ersehnte Ruhe will ich Ihnen bereiten, damit Sie im reinen Äther Ihrer wonnevollen Kunst die mächtigen Schwingen Ihres Genius ungestört entfalten können!“

Richrad Wagner. Fotografie von Franz Hanfstaengl, München 1871 (c) Bayer. Staatsbibliothek

Der König habe ihm sofort ein Jahresgehalt von 4000 Gulden und freie Wohnung zugesichert, vertraute Wagner zwei Wochen darauf mehreren Bekannten an. Ein Gehalt von - nach heutigem Wert - etwa 55 000 Euro stand gerade mal einem bayerischen Ministerialrat nach 18 Dienstjahren zu. „Dem Publikum wird ein bei weitem geringeres Gehalt angegeben,“ berichtete Wagner wichtigtuerisch. („Richard Wager in München – Legende und Wirklichkeit“, Eduard Stemplinger).

Bald schenkte ihm sein „königlicher Freund“ 16 000 Gulden zur Begleichung seiner Wiener Schulden sowie ein Haus mit Garten in der vornehmen Briennerstraße, wo er wie ein orientalischer Fürst residierte. Gehobene Wohnansprüche wie Wandleuchten und Warmhalter meldete er schriftlich, der König ließ sich nicht lumpen. Für die Vollendung des „Ringes der Nibelungen“ verlangte Wagner weitere 30 000 Gulden, die er in Raten bekam; dabei hatte er die fertigen Partituren bereits anderweitig verkauft.

Als Wagner trotzdem immer weitere Vorschüsse wünschte, kam es zum öffentlichen Skandal. Der Künstler habe „die ihm so reich zugeteilte Gnade unseres Monarchen völlig verscherzt“, meldete Mitte Februar 1865 die „Augsburger Allgemeine Zeitung“. Tatsächlich war Ludwig den Aufführungen des „Fliegenden Holländer“ und des „Tannhäuser“ entgegen seiner Gewohnheit nicht gefolgt. Wagner dementierte umgehend, in Ungnade gefallen zu sein; er berief sich auf den König. Dieser habe ihm seine „fortdauernde Liebe“ versichert (wie Großvater Ludwig I. es schon gegenüber seiner im Volks verhassten Lola getan hatte) und die Skandalmache auf „elende, kurzsichtige Menschen“ geschoben.

Brienner Straße 21. Durchaus feudal hatte sich Wagner hier eingerichtet. Das damalige Haus steht nicht mehr. (Foto: Achim Manthey)

Daraufhin erschien am 19. Februar ein Zeitungsaufsatz, anonym, aber wahrscheinlich vom Volksdichter Oscar von Redwitz verfasst. Darin wurden der „außerordentlich begabte“ Künstler, sein „Comfort“ und seine Ansprüche an das tägliche Leben bloßgestellt. Der Autor äußerte den Wunsch, dass Richard Wagner „mit seinen hiesigen Freunden sich zu bescheiden lernen möge“ und nicht „durch fortgesetzte brutale Verachtung unserer nach unserer bescheidenen Meinung auch in musikalischer Hinsicht sehr achtungswerter Zustände sich aufs neue sich zwischen Bayerns Volk und seines geliebten König stelle“.

Mit „seinen hiesigen Freunden“ waren wohl zwei Männer gemeint, die Ludwig auf Betreiben Wagners nach München berufen hatte: der Maler Peter Cornelius aus Wien (der in der neuen Ludwigskirche das zweitgrößte Wandgemälde der Welt schuf) und Hans von Bülow aus Berlin als Direktor der Königlichen Musikschule. Mit beiden zusammen und mit dem liberalen Publizisten Friedrich Pecht schürte Wagner den Pressekrieg weiter. Auch die damals sehr beliebten Satireblätter mischten sich ein: Der „Punsch“ mit einem „Morgenständchen eines neudeutschen Componisten“, der „Kladderadatsch“ mit einem Plädoyer gegen die Anti-Wagnerianer

"Kein armer Reisender". Wagner-Karikatur aus dem "Münchener Punsch" vom 17. Dezember 1865 (c) Bayer. Staatsbibliothek

Eine Tragikomödie mit bösen Szenen spielte sich hinter den Kulissen ab. Als für die 25 Proben des „Tristan“ mit den Dresdener Opernsängern Ludwig und Malwina Schnorr von Carolsfeld das Orchester zu erweiten war und dafür 30 (eigentlich Journalisten zustehende) Sperrsitze abgebaut werden sollten, beleidigte Bülow das Publikum und die Presse mit den Worten: „Was liegt daran, ob 30 Schweinehunde mehr oder weniger hereingehen.“ Als dann die Uraufführung wegen Erkrankung von Frau Malwina abgesetzt werden musste, schrieb der „Münchner Volksbote“ voll Schadenfreude: „Niemand soll darüber untröstlicher sein, als der ‚königliche Vorspieler’ Bülow, der sich so sehr auf die Ovationen der ‚Schweinehunde’ freut.“

Nachdem „Tristan“ endlich doch seinen Triumph feiern konnte – ein Schwerpunkt der Münchner Ausstellung - und die musikalische Welt nach München blickte, kannte Ludwigs Begeisterung keine Grenzen mehr. Wagner wurde für ihn der „erhabene, göttliche Freund“. So konnte der Obertonmeister während des Oktoberfestes den König getrost noch einmal um ein Darlehen in sagenhafter Höhe von 40 000 Gulden angehen. Weil nun der Kabinettssekretär Pfistermeier zu Ablehnung riet, empfahl Wagner bei einem Gespräch in Hohenschwangau dem königlichen Fan, er möge sich nach einem anderen „Sekretär für Kunstangelegenheiten“ umsehen.

Die fortwährenden Geldfechtereien und Intrigen vergrößerten allmählich das Lager der Widersacher, bis in die hohe Politik hinein. Vor allem der Staatsminister Ludwig von der Pfordten erkannte einen gewissen „Zaubertrank“, dem der junge König durch den „Hexenmeister der Musik“ ausgesetzt schien. Schließlich musste Ludwig seinen „theuren, innig geliebten Freund“ förmlich verabschieden. Am 10. Dezember 1865 reiste Wagner ab; das Haus in der Briennerstraße 21 räumte er aber erst im September 1866, und noch bis 1970 stand er in enger Verbindung zu Bayern und seinem romantischen Herrscher.

Am Widerstand von Politik, Presse und Publikum scheiterte letztlich das einzige Münchner Großprojekt des Schlösserbauers Ludwig II: ein allein für Wagners Superopern bestimmtes Festspielhaus auf dem Hochufer der Isar, wofür längst der Dresdener Architekt Gottfried Semper gewonnen war. Der Musiktempel sollte - samt Zufahrtsstraße vom Hofgarten her, Brücke und Parkanlagen - an die fünf Millionen Gulden kosten. Richard Wagner selbst hatte, nach dem großen Münchner Skandal-Theater, alle Lust daran verloren.

Bis zum 28. Mai 2013 in der Bayerischen Staatsbibliothek, Ludwigstraße 16 in München, Mo bis Fr 9-17 Uhr

Veröffentlicht am: 25.04.2013

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