Radikal Jung startet mit Gorkis "Kinder der Sonne"

Vom Leben in einer Wabe

von Michael Weiser

Daniela Löffner. Foto: Tanja Dorendorf / T+T Fotografie

Das Schauspielhaus Zürich durfte den Anfang machen: Mit Daniela Löffners Inszenierung von Gorkis "Kinder der Sonne" legte Radikal Jung, das Festival der jungen Regisseure am Volkstheater München, einen gelungenen, wenn auch nicht herausragenden Start hin.

Es ist schon sehenswert, mit welchen Schauspielern die Züricher anreisen, allen voran Rainer Bock, dem sein Heimspiel - Bock stand lange Zeit im Resi auf der Bühne - sichtlich Spaß machte. Sehenswert, über weite Strecken zumindest, aber radikal? Oder jung?

Daniela Löffner hat mit Maxim Gorkis "Kinder der Sonne" eine gediegene und geradezu glatte Arbeit abgeliefert, die ihren Unterhaltungswert vor allem Rainer Bock als Wissenschaftler Pavel Protassow ,Julia Kreusch als seherischer Lisa und Sean McDonagh als Tierarzt Tschepurnoj verdankt. Es zeugt schon von Klasse, wie Bock da einen an sich liebenswerten Egozentriker gibt, der zwischen Komik und Tragik changiert. Wie er erkennt, dass ihn seine Frau (Friederike Wagner) nicht mehr liebt, dieser Blick in den Abgrund und im nächsten Augenblick der Wechsel zu den praktischen Aspekten des Wissenschaftlerlebens - so kann ich nicht arbeiten! - das ist berührendes Theater.

Doch hätte man Löffner noch mehr eigenen Zugriff auf das Stück gewünscht. Der Text hätte durch Streichungen nicht eben verloren, die Bühne hätte mehr Abstand von Jürgen Goschs Berliner Inszenierung von "Onkel Wanja" vertragen. Hier wie da blickt der Zuschauer in einen Guckkasten, der sich kaum verändert und den Akteuern an der Rückwand eine Stufe zum Sitzen gewährt. Sogar der Samowar steht in Richtung rechter Wand auf der selben Höhe wie bei Goschs Tschechow. Löffner lässt ihre Darsteller abgehen, indem sie sich auf ihre Plätze in der ersten Reihe setzen. Bei Gosch war's die Wand, an die sich die Akteure ins Off lehnten. Ein wenig albern wirken auf Dauer die Chemiekasten-Bestandteile, die Protassow auf der Bühne verteilt, ohne dass sie einen echten Zweck erfüllten.

Die Nähe zu Gosch mag andererseits angehen, denn so verzweifelt, wie die Figuren bei Gorki aneinander vorbeireden und -fühlen, sind die "Kinder der Sonne" ohnehin nah bei Tschechow. Es geht auch hier ums Scheitern, um die Utopien im Großen (die nicht verwirklicht werden) und die persönlichen Träume im Kleinen (die durchgehend platzen). Wie hier die Figuren aneinander verzweifeln und in vielerlei Konstellationen eben nicht ans Ziel ihrer Sehnsucht gelangen, das erhebt die Liebe zur größten Utopie von allen. Was Komik weder bei Tschechow noch bei Gorki ausschließt.Vor allem durch Bock wandelt diese Inszenierung sogar mitunter sehr unterhaltsam auf dem Boulevard.

Claudia Kalinskis Bühne hat allen Gosch-Parallelen zum Trotz  eine eigene Bildsprache gefunden: Die honiggelbe und braune Farbgebung erinnert an Tapeten aus den Siebziger Jahren und erweckt den Eindruck von Muffigkeit, andererseits lässt das Bienenwabenmuster doch an Protassows Utopie denken: ein Volk, ein Organismus. Andererseits gewähren die Waben Schutz und Nahrung. Es ist die (Scheinwerfer-) Sonne und mit ihr die Wahrheit, die diesen Schutz letzlich schmelzen lässt.

Lauter Beifall für den Startbeitrag von Radikal Jung 2013, aber der Publikumssieger wird wohl doch erst in den kommenden Tagen zu sehen sein.

Heute (Sonntag, 21. April 2013) geht es mit dem Theater Bielefeld und "Demut vor deinen Taten Baby" (18 und 21 Uhr) sowie mit "Mein Jerusalem" vom Tmuna Thater Tel Aviv (18.30 und 21 Uhr) weiter.

 

Veröffentlicht am: 21.04.2013

Über den Autor

Michael Weiser

Redakteur, Gründer

Michael Weiser (1966) ist seit 2010 beim Kulturvollzug.

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