Packendes Theater von Eyal Weiser aus Tel Aviv bei Radikal Jung

Das Spiel einer Performance eines ungelebten Lebens

von Michael Weiser

Michal Weinberg. Foto: Gadi Dagon

Eine Schauspielerin, die eine Fotografin spielt, aber dann doch jemand ganz anderer ist: "Mein Jerusalem" aus Tel Aviv führt die Zuschauer von Radikal Jung anhand einer Zeitreise vom Berlin der Nachwendezeit in das Israel der Gegenwart.

Was soll man von Menschen halten, die behaupten, Figuren zu sein, die ein Autor irgendwann erfunden hat? Ein großer Schwindel, diese Schauspielerei, zu toppen höchstens noch von "Mein Jerusalem" von Regisseur Eyal Weiser bei "Radikal Jung". Diese Produktion des Tmuna Theaters Tel Aviv behauptet, von Jerusalem zu sprechen, handelt dann aber doch meistens von Berlin. Eine Schauspielerin performt da das Leben einer Fotografin Sabine Sauber, die angeblich schon gestorben ist, aber doch der Performerin verblüffend ähnlich sieht. Man scheint der Sache auf die Spur gekommen zu sein: Sabine Sauber spielt ihr eigenes Leben und Schaffen. Dies tut sie in einem Englisch mit sehr starkem Akzent, das uns vermuten lässt, sie sei möglicherweise doch eine Ostdeutsche, der Russisch insgesamt näher liegt.

Nun, das könnte es gewesen sein. Und wenn dem so ist, dann hat man einer Art biographischer Archäologie beigewohnt - nicht unbedingt das Neueste, aber doch irgenwie ganz reizvoll, wie sich da anhand von Fotos und Erinnerungsstücken ein Leben zu entfalten scheint, ein Leben aus einer Schachtel sozusagen (Bühne Yinon Peres).

Dennoch bleibt man einigermaßen ratlos. Die Performerin oder Sabine Sauber, wer auch immer, zieht sich am Ende aus, legt sich auf den Tisch, zieht ein Laken über sich, sie kann schlafen gegangen sein oder sich aufgebahrt haben. Alles ist möglich. Dass schließlich Leute kommen, die die Bühne aufräumen, sorgt nicht für mehr Klarheit. Ja, und was war das jetzt mit "meinem" Jerusalem?

Klarheit stellt sich erst mit Verzögerung ein. Alles nur gespielt, erfährt man später, es gibt keine Fotografin, es gab sie nie, auch ihr Werk ist nur ein Fake, und auch die Performerin gibt es nicht. Sie heißt in Wirklichkeit Michal Weinberg und spricht recht gutes Englisch. Und natürlich geht es doch um Jerusalem, die Sicht eines Israeli auf das Berlin der Wende, und danach ist das eine gebrochene Reflektion der Lage in Jerusalem (einst ebenfalls eine geteilte Stadt) und in Israel, das sich neuerdings mit einer Mauer von der Westbank abschottet.

Ein Abend mit Tiefenwirkung, an den man sich möglicherweise noch länger erinnern wird, eben weil er einen noch lange zu beschäftigen vermag. Von der Regiesprache her einer der jüngsten Beiträge, von der Radikalität her aber die herausragende Inszenierung.

Veröffentlicht am: 23.04.2013

Über den Autor

Michael Weiser

Redakteur, Gründer

Michael Weiser (1966) ist seit 2010 beim Kulturvollzug.

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