Start der Ballettwoche mit Terence Kohlers "Helden"
Verwirrende Jagd nach Innovation
Terence Kohler präsentiert ein weiteres Mal abendfüllende Neoklassik. Seine "Helden" sind hypnotisch, bleiben aber über weite Strecken rätselhaft.
Ein Augenschmaus sind Terence Kohlers "Helden" allemal, so viel steht fest. Die Uraufführung eröffnete am Sonntag die Ballettfestwoche, und zwar im sensationellen Galagewand. Rosalie, die Stuttgarter Künstlerin und Bühnenbildnerin, arbeitete schon zuvor exzellent mit Kohler zusammen; für diesmal schuf sie eng anliegende, mit mystischen Zeichen bedruckte graue, weiße und schwarze Kostüme im Stil der aktuellen Endpunkt-Mode. Die Staatsballett-Tänzer sehen darin so kostbar und schön aus, dass schon der Anblick den Eintritt wert ist. Auch eine Reihe bunt irisierender Spiegelrauten sowie eine perlmittschimmernde, schwebende Riesen-Quaderwolke verleihen der Bühne des Nationaltheters besondere Tiefe (Licht: Christian Kass). Obgleich es oft dunkel ist, zieht eine starke, dreidimensionale Atmosphäre den Zuschauer ins Geschehen.
Mit diesem Geschehen ist es so eine Sache. Kohler nennt seine Helden Prometheus, Athena Parthenos, Epimetheus und Pandora - und so entsteht schon die erste Verwirrung: Die Vermutung, es handele sich um die antiken Charaktere, liegt nahe, ist aber falsch. Es geht vielmehr allgemein um das, was ganz beliebigen Menschen zu Helden macht. Prometheus (Lukas Slavicky) ist nur der Paradefall: Als leidenschaftlicher Innovator beschenkt er die Menschen mit Licht, macht sie davon abhängig und fühlt sich dadurch mit reißerischen Sprüngen großartig. Sein reaktionärer Bruder Epimetheus (Ilia Sarkisov) dagegen leht die Leuchtdinger in jedermanns Händen ab und verliert deshalb seine Geliebte Pandora (Katarina Markowskaia), deren Neugier sie magisch in die Sucht zieht. Schließlich ersticht Prometheus den Epimetheus nach einem heftigen Streit um Athena Parthenos. Dieser Charakter, getanzt von Emma Barrowman, ist eigentlich Dreh- und Angelpunkt der Geschichte. Sie begleitet Prometheus' ersten Erfolg, vollzieht später Epimetheus' Standpunkt nach und animiert zuletzt Prometheus' Jünger zur Selbständigkeit: Die Menschen lösen sich aus dem von ihr vorgegebenen, zunächst synchronen, pendelartigen Wellentanz und werden zu Individuen. Jeder ist dazu geboren, ein Held zu sein!
Doch bei all dem bleibt Athena Parthenos' Wesen merkwürdig schleierhaft. Um die Weisheit zu verkörpern, ist sie abhängig von den verfeindeten Männern. Sie lässt sich aml auf die eine, mal auf die andere Seite ziehen. Zwischendurch krümmt sie sich ratlos, wendet sich angeekelt von Prometheus ab. Sie ist eher ein Opfer, oder aber ein Kind von Vater Innovation und Mutter Reaktion. Der von Saison zu Saison stärkeren Emma Barrowman macht das zum Glück nichts aus: Sie holt alles, was möglich ist, aus dem undurchsichtigen Charakter heraus. Ihre Ironie, ihr Witz, ihr Schock und ihre Hilflosigkeit, zuletzt ihre Überlegenheit machen fast eine One-Woman-Show aus "Helden".
Man habe sich bewusst für eine offene, perspektivische Inszenierung ohne Faden entschieden, erklärt das Programmheft, damit der Zuschauer eigene Entdeckungen machen kann. Ein paar mehr Hinweise oder wenigstens stärkere Dynamiken zwischen den Hauptfiguren wären da hilfreich gewesen. So aber wird das Publikum zwischen zentnerschweren Motiven wie Licht in den Händen oder Streit um glänzende Äpfel (gehörte der Apfel nicht zu Paris?) ein wenig allein gelassen.
Im Kontrast zur zerfransten Dramaturgie steht schließlich Kohlers starke Choreographie. Alles dreht sich um Beine: Pliés, Arabesken und verblüffende Hebungen zeigen, dass es hier ums Fortschreiten geht. Der Mensch ist ein Aufrechtgeher und er kann seinen Antrieb auf viele EWeisen nutzen, ja er muss einfach! Manches wirkt naiv, wie die Spielereien mit den Handlämpchen. Anderes geschieht sehr unvermittelt, wie der plötzliche Volksstreit um Athena. Das mindert aber nicht den entschlossenen Eindruck, den die Pas-de-Deux und Gruppenszenen zu jeder Zeit machen.
So ratlos die Zuschauer auch zurück bleiben: "Helden" hat einige besondere Momente. Vielleicht muss man das Stück als eine neue Gattung nehmen, als intuitives Handlungsballett sozusagen. Ob die Wahrnehmungsfähigkeit der Zuschauer damit überfordert ist, wird der Spielplan zeigen.
Nochmal am 27. April 2013, 19.30 Uhr, im Bayerischen Staatsballett.