Bilanz von Radikal Jung am Volkstheater

Gute Ernte, und die gesellschaftliche Realität darf wieder auf die Bühne

von Gabriella Lorenz

Die Glasmenagerie. Foto: Sandra Then

Am Ende gab's drei Gewinner und  erstmalig beim Festival  auch einen Verlierer.  Der war Abdullah Karaca, seit vier Jahren Christian Stückls Regieassistent. Seine Debüt-Inszenierung „Arabboy“ konnte nicht gezeigt werden, weil der Hauptdarsteller im Krankenhaus liegt. Die Aufführung hatte am Volkstheater aber bisher so großen Erfolg, dass man von dem 24-Jährigen sicher beim nächsten oder übernächsten „Radikal jung“ etwas sehen wird.

Unter den übrigen neun Produktionen erkoren die Kritik-Studenten der Theaterakademie, die die Festival-Zeitung „radikal text“ erstellten, das Gastspiel „Mein Jerusalem“ von Eyal Weiser aus Israel mit einem selbstgebastelten Zertifikat zu ihrem Favoriten.  Die Nachwuchs-Regisseure aus Jens Hilljes Masterclass kürten  „Ich bedanke mich für alles“ von Samuel Hof und dem Theaterhaus Jena mit einem Tragerl Bier. Der Publikumspreis, dotiert mit 2500 Euro von den Freunden des Volkstheaters, ging an Regisseurin Babett Grube für „Demut vor Deinen Taten Baby“ vom Theater Bielefeld. Ihre drei Darstellerinnen spielten die dramatische Petitesse von Laura Naumann rasant und fetzig, das riss mit.

Nach einem starken Beginn mit der Zürcher Gorki-Inszenierung „Kinder der Sonne“ von Daniela Löffner setzte Sebastian Kreyer vom Schauspiel Köln auch einen starken Schlusspunkt. Er holte „Die Glasmenagerie“ von Tennessee Williams aus der US-Südstaaten-Nostalgie der 40er-Jahre ohne peinliche Aktualisierungen in ein sehr heutiges Lebensgefühl. Amanda Wingfield, eine etwas durchgeknallte Alt-Hippie-Mama (Anja Lais), lebt mit ihren erwachsenen Kindern in einem Wohnwagen. Als deutliches Zeichen hat Sebastian Kreyer dahinter einen riesigen roten Samtvorhang gesetzt. Mal wird der Inspizient um Rat gefragt,  die Souffleuse ruft ein „Kirschgarten“-Zitat zu, oder man erfindet plötzlich eine Revue-Szene. Hier wird erkennbar Theater gespielt, mit vielen Pop-Songs und Lust an komischer Übersteigerung und Slapstick, aber ehrlicher Liebe zu den Figuren. Die Kids sind noch nicht abgenabelt: Tom (Orlando Klaus) träumt von der Navy und flüchtet in Kino-Fantasien, die leicht behinderte Laura (Marie Rosa Tietjen) schottet sich ab von der Umwelt, und zum Weinen stülpt sie sich einen Plastikeimer über den Kopf. Toms Kollege Jim (Carlo Ljubek) mischt und weckt sie alle auf mit der Leichtigkeit eines lebenslustigen Verführers. Aber auch er zeigt eine bröckelnde, erfundene Fassade. Die Aufführung ist eine halbe Stunde zu lang - doch gerade, wenn man die Länge zu spüren beginnt, wird das Spiel zunehmend lockerer und freier. Stückl hat den Regisseur schon unter Vertrag genommen: Sebastian Kreyer wird Ende Juni Ibsens „Gespenster“ am Volkstheater inszenieren.

Es war durchwegs - auch dank der beiden irritierend-spannenden Gastspiele aus Israel - eine qualitativ gute Festival-Ernte (wobei man über das Theaterhaus Jena geteilter Meinung sein kann) mit  erfreulicherweise zum großen Teil politischen Themen. Ein Zeichen, dass die Regie-Generation bis 35 jenseits von Rap und HipHop wieder gesellschaftliche Realitäten wahrnimmt? Im nächsten Jahr wird sich zeigen, ob das ein Trend ist. Dass „Radikal jung“  2014 zum zehnten Mal stattfindet, dafür verbürgt sich die Stadt, die für den abgesprungenen Sponsor Eon die Finanz-Lücke füllt. Aber -  Stückl betont es unermüdlich - Sponsoren werden dringend gebraucht.

 

Veröffentlicht am: 30.04.2013

Über den Autor

Gabriella Lorenz

Gabriella Lorenz ist seit 2010 Mitarbeiterin des Kulturvollzug.

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