Vor der Premiere von "Roberto Zucco" im Volkstheater

Große Geschichte mit dichterischer Poesie

von Gabriella Lorenz

"Außer Roberto hat keine Figur einen Namen. Sie sind Typen", erklärt der Regisseur (Foto: Arno Declair)

Er kann es noch nicht ganz fassen, dass er als Shootingstar im deutschsprachigen Theater gehandelt wird. Aber es kann kein Zufall sein, dass Milos Lolic für seine drei ersten Inszenierungen außerhalb Serbiens jeweils preisgekrönt wurde. Am Münchner Volkstheater inszenierte er Lorcas "Bluthochzeit" und wurde dafür bei den Bayerischen Theatertagen 2012 ausgezeichnet. Am Wiener Volkstheater setzte er Wolfgang Bauers "Magic Afternoon" in Szene und bekam den renommierten, aber leider undotierten Nestroy-Preis. Der öffnet jedoch Türen, und so wird man gewiss von dem jungen serbischen Regisseur - in sechs Tagen wird er 34 - demnächst einiges sehen und hören. In München hat heute seine zweite Volkstheater-Inszenierung "Roberto Zucco" Premiere.

Das letzte Drama von Bernard-Marie Koltés, das Hausherr Christian Stückl 1995 an den Kammerspielen inszenierte, gehört wie "Bluthochzeit" wegen seiner poetischen Sprache zu Milos Lolic' Lieblingsstücken.

Milos Lolic hat in Belgrad Regie studiert, er inszeniert dort am wichtigsten Staatstheater, dem Yogoslaw Drama Theatre, ebenso wie am kleinen avantgardistischen Atelier 212. Seine Inszenierung von Robert Musils "Der Schwärmer" bekam beim internationalen BITEF-Festival 2009 den Grand Prix - gegen Konkurrenten wie Robert Lepage. Das erzählt er mit immer noch ungläubigem Staunen. Auch für seine slowenische Aufführung "Bartleby" bekam er einen Preis. Aber den Weg in den Westen öffnete erst die Einladung mit "Gott ist ein DJ" zum Volkstheater-Festival "Radikal jung" 2011, wo ihm Stückl eine Regie angeboten hatte.

Lolic liebt poetische Sprache auf der Bühne. "Roberto Zucco", das Koltés kurz vor seinem Tod 1989 vollendete und Peter Stein 1990 an der Berliner Schaubühne uraufführte, verbindet für ihn das Erzählen einer großen Geschichte mit dichterischer Poesie. Ihn fasziniert auch der dokumentatrische Ansatz, denn das Stück beruht auf Realität. Der Italiener Roberto Zucco ermordete mit 25 scheinbar ohne Motiv seine Eltern und vier weitere Menschen, machte mit einer wochenlangen Flucht Schlagzeilen und beging nach seiner Verhaftung 1988 Selbstmord. Aber die mystische Verklärung zum Todesengel, die Koltés - ähnlich fasziniert wie Genet vom grundlos Bösen - dem Mörder zugedacht hat, will Lolic nicht betreiben. "Wir versuchen, reale Menschen auf eine höhere Stufe zu heben, ohne sie zu Helden zu machen."

Am meisten interessiert Lolic die mythologische und ritualistische Ebene: "Außer Roberto hat keine Figur einen Namen. Sie sind Typen."

Diese Ebene erinnert Lolic an Heiner Müller, den er verehrt. "Seine Texte haben meinen Blick auf das Theater verändert." Inszenieren will er sie vorläufig nicht: "Dafür bin ich noch nicht reif. Ich warte auf einen glücklichen Zufall." Aber er weiß eine Anekdote: "Koltés wollte unbedingt, dass Müller sein Stück für die deutsche Uraufführung übersetzte. Leider sprach Müller kein Französisch."

Heiner Müller ist ein Grund, warum er bedauert, nicht Deutsch zu können: "Es gibt so viele interessante deutsche Theatertexte, die nicht mal ins Englische übersetzt sind. Und so viele theoretische Essays, die ich gerne lesen würde." Vor seiner ersten deutschsprachigen Inszenierung "Bluthochzeit" hatte Lolic furchtbar Angst, obwohl er hervorragend Englisch spricht, und sogar ein Übersetzer auf den Proben da war: "Aber ich arbeite in einer Sprache und in einer Stadt, deren gesellschaftlichen Kontext ich nicht kenne." Nach der zweiten deutschsprachigen Inszenierung in Wien ist die Angst einer neuen Erfahrung gewichen: "Wenn die Schauspieler sprechen, verstehe ich nur einzelne Worte. Aber ich höre genau, ob der Ton wahrhaftig oder falsch ist. Drama besteht aus mehr als Worten - es geht um Energie, die man teilt. Dafür musste ich alle meine Sinne öffnen, nicht nur hören, sondern fühlen. Ich bin mir auch der Musikalität der Sprache mehr bewusst geworden. Seitdem betrachte ich auch die Arbeit in meiner eigenen Sprache anders. Man versteht die Dinge auf mehreren Sinneskanälen."

Lolic ist zu bescheiden, seine zehnjährige Theaterarbeit Karriere zu nennen. Aber die dürfte er aller Voraussicht nach machen.

Volkstheater, 14., 16. Mai 2013, 19.30 Uhr, Tel. 523 46 55

Veröffentlicht am: 14.05.2013

Über den Autor

Gabriella Lorenz

Gabriella Lorenz ist seit 2010 Mitarbeiterin des Kulturvollzug.

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