Interview mit August Zirner zu "Stiller" im Cuvilliés

"Wie bringe ich es rüber, dass ich nicht der bin, für den Du mich hältst?"

von Gabriella Lorenz

August Zirner. Foto: Sarah Rubensdörffer

Mit „Woyzeck on the Highveld“ gastierte die Handspring Puppet Company 1992 erstmals in München - eine Sensation. Danach war die Puppenspieler-Truppe aus Südafrika, damals geleitet von William Kentridge, auf vielen Festivals in Europa zu sehen. Jetzt arbeitet sie zum ersten Mal in Deutschland: In Kooperation mit dem Residenztheater entsteht die Uraufführung „Stiller“ nach dem Roman von Max Frisch.

 

Mervyn Millar von der Handspring Puppet Company und Tina Lanik sind das Regieteam: Er inszeniert die von Handspring kreierten Puppen und hat die Resi-Darsteller in die Kunst des Puppenspielens eingearbeitet, sie führt die Schauspieler. August Zirner spielt den Protagonisten Stiller - neben hölzernen Doubles. Der 1956 in Indiana geborene Schauspieler lebt seit 1973 in Europa.

 

Herr Zirner, was für ein Mensch ist dieser Stiller, der sich Jim White nennt? „Ich bin nicht Stiller“ ist sein erster Satz bei seiner Verhaftung.

AUGUST ZIRNER: „Stiller“ ist in erster Linie ein Roman, und beim Lesen stellt man sich Fragen.  Die Kraft von Frisch liegt in der Frage: Können wir mit Sprache ausdrücken, was wir sind und sein wollen? Stiller fragt: Kann ich meine Erlebnisse beschreiben? Er sagt: Mein Engel verlässt mich, sobald ich ihn beschreibe. Es ist das Dilemma des Unaussprechlichen. Wie bringe ich es rüber, dass ich nicht der bin, für den Du mich hältst?

Seine Frau und frühere Freunde erkennen Stiller wieder. Aber er bleibt konsequent bei der Verweigerung seiner Identität.

Er gerät in die Enge: Es wird immer schwieriger, zu beweisen, dass er es nicht ist. Stiller verweigert sich aus Misstrauen gegenüber der Offenbarung, dass er je so gewesen ist, wie er war. Es ist die Kraft der Verzweiflung. Entweder man stellt sich seiner Verzweiflung oder man geht an ihr zugrunde. Das 1952 geschriebene Buch spielt ja in den Nachkriegsjahren 1945 bis 1947. Der Künstler Stiller war vielleicht nicht schuldig am Dritten Reich, aber er will mit dieser Zeit und seiner Vergangenheit nichts mehr zu tun haben. Diese Schatten der Verdrängung spüren wir bis heute. Insofern ist Stiller ein guter Geschichtsgenosse.

Die Hauptfiguren werden von Puppen in verschiedenen Größen gedoubelt. Was wird damit erreicht?

Die Gegenwartsebene Stillers ist seine Gefängniszelle, daneben gibt es die Ebene der Vergangenheit und der verklärten Erinnerungen. Der Roman arbeitet mit zeitlichen Sprüngen und Verschiebungen. Die Puppen ermöglichen es, zwischen den Ebenen zu springen und sie gleichzeitig zu spielen. Außerdem ist Stiller ein selbstreflektierender Mensch, dafür ist eine Puppe die ideale Projektionsfläche. Puppen ändern die Bedeutung einer Aussage. Sie machen einem auch selbst als Schauspieler klar, dass ein Teil der eigenen Präsenz nur Projektion ist.

Resi-Intendant Martin Kusej wollte eigentlich Romanadaptionen den Kammerspielen überlassen. Aber offenbar war das Handspring-Angebot unwiderstehlich.

Hermann Hesse hat gesagt: Einen Roman kann man nicht filmen. Ich neige auch zu Zweifeln, ob ein Roman auf die Bühne gehört. Warum macht man sich nicht mehr Mühe, vorhandene Stücke sinnvoll zu inszenieren? Ich bin wegen meines Bedürfnisses nach dem Dialog ans Theater gegangen. Verkündigung war mir schon immer suspekt. Aber die Fassung des Dramaturgen Andreas Karlaganis ist sehr gut, weil er szenisch denkt.

Sie sind seit zwei Jahren fester Gast im Resi-Ensemble, filmen daneben und machen immer mehr musikalische Programme.

Mir ist wichtig, selbst etwas zu initiieren. Ich mache auch gerne Lesungen: Das unmittelbare Erzählen ist so ehrlich. Mit dem Spardosen-Terzett arbeite ich an einem neuen Jazzprogramm über den Musiker Barney Hines. Der hat mit allen Jazzgößen von Mingus bis Monk gespielt, aber immer in der zweiten Reihe, und sein Geld mit Taxifahren verdient. Aus gewissen Gründen ist er hier sehr unbekannt.

Ihr Vater war Musiker, Sie selbst spielen Querflöte und etwas Altsaxophon.

Saxophon nicht gut genug, und Flöte übe ich wieder verstärkt seit fünf Jahren. Mir werden bis zum Lebensende 20 Jahre des Übens fehlen. Aber ich merke, dass die musikalische Phrasierung sich auf meine Sprache auswirkt und umgekehrt. Musik ist für mich das Fortsetzen des Erzählens mit einem Instrument. Die Brücke zwischen Schauspiel und Musik sind die Zwischentöne, die mich interessieren. Es geht immer um die Frage: Wie spricht man das Unaussprechliche aus?

Cuvilliéstheater, Telefon  2185 1940. Wieder am 30. Juni 2013; Infos unter http://www.residenztheater.de/inszenierung/stiller.

Veröffentlicht am: 28.06.2013

Über den Autor

Gabriella Lorenz

Gabriella Lorenz ist seit 2010 Mitarbeiterin des Kulturvollzug.

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