"Exits & Entrances" am Staatsballett

Tanzen mit der Macht des Hier und Jetzt

von Isabel Winklbauer

"Unitxt": Katherina Markowskaja und Léonard Engel (Bild: Wilfried Hösl)

Gelungene Stücke von Richard Siegal haben etwas unwiderstehlich Unmittelbares. Der Zuschauer glaubt, wie 2010 in „CoPirates“, Teil eines unaufhaltsamen Geschehens zu sein, das gerade jetzt die Welt bestimmt. Exakt dieses Gefühl erweckt „Unitxt“: Die neue Kreation des Ex-Forsythe-Tänzers und Choreografen erlebte nun im zweiteiligen Abend „Exits and Entrances“ seine Uraufführung am Bayerischen Staatsballett.

Siegals Tänzer bewegen sich zwischen Lärm und Stille, wie am Anfang und Ende der Inszenierung zwei riesige Plakate auf der Bühne des Prinzregententheaters kundtun. Die Akteure schlüpfen unter ihr hervor wie digitale Mäuse auf dem Weg zur Arbeit, schnell, von elektronischen Rhythmen getrieben (Carsten Nikolai und Alva Noto komponierten) – und in alle Richtungen kompatibel. Die Korsetts der Damen haben große Schlaufen in jede Himmelsrichtung. Man weiß ja nie, mit wem man sich heute verbinden muss...

Wer will als nächstes? Javier Amo in "Unitxt". (Bild: Wilfried Hösl)

Und Verbindungen gibt es, Siegal-typisch, viele. Scheinbar willkürlich tanzt die Belegschaft auf der Bühne verstreut, jeder für sich in sein nonchalantes Bewegungsvokabular vertieft. Es wippen die Schultern, es wedeln die Pliés, lässige Hüftschwünge und Drehungen trumpfen auf. Geschickt hat Siegal Tänzer der verschiedensten Staturen besetzt: Erdige Dynamik (Claudia Ortiz Arraiza, Tigran Mikayelyan) steht neben kühler Eleganz (Mia Rudic, Leo Engel) und luftigen Blitzlichtern (Katherina Markowskaja). Alle passen mit allen zusammen.

Weswegen in einer Pas-de-Quatre-Szene auch kaum herauszufinden ist, welche Frau welchem Mann zugeordnet ist. Kaum meint man, ein Paar erkannt zu haben, löst es sich zu Gunsten neuer Konstellationen auf. Der Zweck heiligt die Bühnenabschnittspartnerschaft! Dass die weiblichen Charaktere im Tempo- und Rhythmusfieber keinen allzu attraktiven Bewegungsfluss finden, macht die Beziehungen auch nicht einfacher.

Luzia Bernardes Bertho mit Schattentänzer in "Biped". (Bild: Wilfried Hösl)

Doch sind einmal Paare oder Gruppen zusammen gekommen, finden sie zu bestechender Harmonie. In solchen Momenten, zu denen gegen Ende etwa eine simple, synchrone Reihe gehört, strahlt fußgestählt und erhobenen Hauptes auf, woher Siegals Kunst kommt: von William Forsythe und seinen wahnwitzigen Ballettexperimenten. Nur dass Siegal diese emotional viel näher am Publikum inszeniert. „Unitxt“ dauert nur 25 Minuten und die Kulisse besteht aus mageren Neon- und Kabelsäulen.

Wo Zuschauer mit so wenig Aufwand vom Hocker gehauen werden, hat es ein Begleiter natürlich schwer: Merce Cunninghams „Biped“, vom Bayerischen Staatsballett erstmals von einer deutschen Kompanie aufgenommen, hinterließ trotz faszinierender 3-D-Projektionen und Gavin Bryars live gespielter Komposition „Biped“ einen müden Eindruck. Zumal die Ausführung noch probenbedürftig schien. Doch auch in ein paar Vorstellungen, wenn das Stück gereift ist, wird es im Vergleich zu „Unitxt“ staubiger wirken. Die Macht des Hier und Jetzt ist unschlagbar.

Veröffentlicht am: 29.06.2013

Über den Autor

Isabel Winklbauer

Redakteurin

Isabel Winklbauer ist seit 2011 Mitarbeiterin des Kulturvollzug.

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