Kreyer inszeniert Ibsens "Gespenster" am Volkstheater
Gib mir Capri-Sonne, Mutter!
Lustiger Anlauf für ein düsteres Ende: In seiner Slapstick-Variante der "Gespenster" am Münchner Volkstheater setzt Sebastian Kreyer auf das bewährte Muster seiner überzeugenden "Glasmenagerie" und nimmt Ibsens skandalträchtigem Drama das Pathos.
Man kann das Ganze auch als Spiel mit den Kontrasten sehen: Diesen unglaublichen Lärm zu Beginn, der in einer alptraumhaften Szene die Bruchlandung Regines vorwegnimmt, und dieses ganz stille, sehr traurige Finale mit Osvald. Dieser Slapstick über weite Strecken, und dann am Ende doch diese Erkenntnis von bleierner Schwere: Es gibt kein Entrinnen.
Diese manchmal ziemlich alberne Komik Kreyers in einem an sich sehr düsteren und einstmals skandalträchtigen Stück - sie kommt vermutlich aus der Einsicht, dass manche Figuren dieses Stückes so heute nicht mehr denk- und erzählbar sind. Und sie wirkt als Kontrastmittel, das eine Erkenntnis um so deutlicher hervortreten lässt: Für echte Sünden muss immer jemand bezahlen, und meistens ist es gar nicht der Sünder. Nach all dem Klamauk entfaltet dieser Schluss richtige Wucht. Oder weiß Kreyer einfach, dass schiere Unterhaltung allein gut ankommt?
Das Problem ist, dass den Figuren mit dieser Komik viel an Wirkung verlieren. Ibsen wollte mit seinem Pastor Manders der Kirche den Spiegel vorhalten und schuf einen bigotten Besserwisser, der die Tragödie mit verschuldet. Hat er wirklich nicht sehen können, was der alte Kammerherr Alving für ein Tunichtgut war? Es sind unter anderem seine Sünden, die wiederkehren und die Menschen Wiedergängern gleich bedrücken. Seine Exzesse infizieren den Sohn mit einer Krankheit - vermutlich der Syphillis -, die nun dessen Hirn aushöhlt. Manders (Oliver Möller) verhaspelt sich in einer Tour - dass er statt Stiftung auch mal "Fistung" sagt, legt nahe, dass auch ein Pastor mal an rüden Sex denken kann -, er macht das so lange, dass man dessen irgendwann auch mal müde wird. Dieser Mensch in norwegisierender Kleidung, diese schlaksige Karikatur eines fliegenden Holländers soll mal Regines Idol gewesen sein? Andererseits macht auch die nicht immer den aufmerksamsten Eindruck. Kann schon mal sein, dass sie hinausstürmen will, jedoch die Tür übersehen hat.
Der Mensch ist nicht allzu hell bei Kreyer und nicht allzu gut in Ibsens Drama. Tischler Engstrand (Pascal Fligg) hat keine moralischen Bedenken, seine angenommene Tochter Regine schon mal für den Dienst am Kunden in seinem Seemannsbordell einzuplanen, Regine selbst (Mara Widmann) möchte eigentlich nur weg. Dass sie wirklich in Oswald (Max Wagner) verliebt ist, darf man bezweifeln - vermutlich ist der in Paris erfolgreiche Künstler eher der weiße Ritter, der sie aus dem Schatten des Fjordes retten soll. Im Übrigen ist das Beziehungssmodell nicht tragfähig: Regine verliert sehr schnell die Anteilnahme, als sie vernimmt, dass Osvald ihr Halbruder und darüber hinaus zum frühen Verfall verdammt ist. Alle haben sie ihre Vergangenheit, und ihre Fehler und Vergehen suchen sie immer wieder heim.
Das wäre die Geschichte, man kann sie als wuchtige Tragödie verfolgen,verliert man nicht durch all den Klamauk irgendwann das Interesse daran. Die Witzflut kann auch ermüden. Das ist der Unterschied zu Kreyers großartig unterhaltsamer Inszenierung der "Glasmenagerie": Williams Stück steht im Jetzt, die Vergangenheit spielt eine Rolle in den Gedankenspielen der Akteure. Bei Ibsen ist die Vergangenheit selbst ein Akteur. "Gespenster" ist dementsprechend von Brüchen durchzogen, über die all das Komödiantische einen quietschrosa Putz zu legen droht. Der Sohn möchte seinem Leben selbstbestimmt ein Ende setzen. "Gib mir Sonne", fleht er seine Mutter an, und mit der Sonne ist Morphium gemeint. Die Mutter gibt ihm eine Capri-Sonne. Man muss schon wirklich genau hingeschaut haben, um die Szene nicht als albern zu empfinden. Denn als Osvald auf die Tüte drückt, schießt ein gelber Strahl daraus, wie Urin - wohl ein Hinweis auf die Demenz, die Osvald mehr als alles fürchtet: Er will nicht in Windeln gewickelt wegdämmern.
Warum diese Brüche am Ende doch sichtbar bleiben, liegt hauptsächlich an den Darstellern. An der beeindruckenden Ursula Burkhart etwa, die auch die Härten und den Stolz der Helene Alving gut transportiert: eine Frau, der letztlich die Fassade einer anständigen Familie wichtiger ist als das Glück der Kinder. Und auch an Mara Widmann, die der Regine mit leichter Hand Naivität (oder ist es Vertrauen in eine bessere Zukunft?) verleiht. Das ist schön und gut gespielt. Nun muss man nur bis ganz zum Ende dabeigeblieben sein, um den Hammer wirklich noch fallen zu hören.