12. Rischart-Kunstprojekt im Alten Botanischen Garten
Des Bäckers Horror Picture Show
Das 12. Rischart Kunstprojekt in München bespielt unter dem Motto "Es war einmal..." den Alten Botanischen Garten. Acht Künstlerinnen und Künstler zeigen ihre Sicht auf Märchenwelten.
Nein, Rotkäppchen ist es nicht. Bei dem lief es ja noch anders herum. "Eloise" hat endlich Generationen von Mädchen vom Alb der (wohl zumeist männlichen) Peinigung befreit und den bösen Wolf gemeuchelt. Wie ein nasser Sack hängt der nun in ihren Händen. In strahlend unschuldigem Weiß und lebensgroß steht die gleichnamige Skulptur der Münchner Bildhauerin Elke Härtel mitten auf einer Wiese in Münchens Altem Botanischen Garten. Blutrünstig und grotesk komisch kommt der überlebensgroße Hasenkopf von Heike Kati Barath daher, der an einer Kette vom Dach eines Glashauses hängt. Streifen von schwarzem Acrylfugendichter überziehen ihn wie ein Würmergewimmel, das mit roter Farbe verschmierte Maul weist auf nicht erzähltes Grauen, das nach Einbruch der Dunkelheit erst recht aufkommen mag, wenn die Knopfaugen des Viehs gespenstisch rot aufleuchten. Das niedliche Häschen als Kuscheltier ist da nicht.
Schon seit 30 Jahren fördert der Bäckereiunternehmer Gerhard Müller-Rischart innovative, moderne Kunst und lädt alle zwei, drei Jahre junge Künstler ein, Kunstprojekte im öffentlichen Raum zu gestalten. 1983 hatte es in den neuen Betriebsräumen an der Buttermelcherstraße mit der künstlerischen "Darstellung von Bäcker- und Konditorkünsten" angefangen. Ab 1985 ging es dann in den öffentlichen Raum. U- und S-Bahnhöfe, Straßen und Plätze wurden für einige Wochen gestaltet, dann verschwanden die Kunstwerke wieder aus dem Blickfeld der Öffentlichkeit. Lediglich die 1988 von Robert Schmidt auf dem Geschwister-Scholl-Platz vor dem Hauptgebäude der Universität gestalteten Kacheln mit Motiven der Flugblätter der Weißen Rose und Zeitungsberichten über die Verhaftung ihrer Mitglieder sind bis heute erhalten.
Nun zum Jubiläum also das Thema Märchen. Das ist stimmig, denn jedenfalls im Jahresmittel kommen die 200. Geburtstage des Alten Botanischen Gartens und der Gebrüder Grimm als die personifizierten Märchenerzähler dazu.
Es war einmal... So beginnen viele dieser frei erfundenen, im Lauf der Jahrzehnte und Jahrhunderte mehr und mehr ausgeschmückten Geschichten, die von Feen und Elfen handeln, von Apfelstücken im falschen Hals und wachküssenden Prinzen, die von Prinzessinnen und Fröschen oder langhaarigen und sieben Zwergen erzählen - und in denen emsig intrigiert, getäuscht, gemeuchtelt und gemordet wird. Die Märchen sind wahrlich kein Ponyhof. Vielleicht ist das der Grund, warum sie sich bis heute erhalten haben.
Und die Geschichten haben sich in der Vor-Hörfunk- und Fernsehzeit häufig im öffentlichen Raum verbreitet, wenn Märchenerzähler auf Dorf- und Marktplätzen ihr großes und kleines Publikum um sich sammelten und in ihren Bann zogen.
All das nehmen die acht Künstler in der bereits zum zehnten Mal von Katharina Keller kuratierten, wundersam-zauberhaft-gruseligen Schau unter freiem Himmel auf. Gelbe, raupenartige Fabelwesen machen sich über einen seltsam gewachsenen Baum her (Susan Gorth "mass confrontation"), Martin Pfeifle veranstaltet in einem Pavillon aus Lackfolienstreifen ein Farbfeuerwerk im Labyrinth, Claus Richter weist auf seinen überall im Park angebrachten Wegweisern im Zuckerbäckerstil die Richtung zu Verheißungen oder Irrungen, wie sie in den Scherenschnittbehausungen von Gabriele Basch zu erraten sind.
Manch einem Besucher schließlich, der auf dem lauschigen Halbsitzkreis unter den Bäumen im östlichen Teil des Gartens Platz nimmt, könnte ein gehöriger Schrecken in die Glieder fahren, wenn unvermittelt aus dem Nichts das bekannte Kinderlied "Hänsel und Gretel verliefen sich im Wald" erschallt, einstimmig leise und zart zunächst, dann mehrstimmig, kanonartig werdend, sich bricht, verzerrt wird und lauter und abrupt endet. Die 6-Kanal-Audioinstallation von Felix Burger läuft zu jeder halben und vollen Stunde über eine Länge von acht Minuten.
Und am Ende liegt der Märchenerzähler in einen Teppich gehüllt, entlarvt als Vermittler von Fiktion, als Lügner gar, umspült vom Erzählfluss, der unaufhörlich aus Aladins Wunderlampe strömt, ersoffen im Neptunbrunnen. So jedenfalls sieht es Matthias Hirtreiter in seiner Insatllation "Wahre Männer lügen nicht". Aber wir wissen ja: Und wenn sie nicht gestorben sind...
Bis zum 21. Juli 2013 im Alten Botanischen Garten in München, jederzeit anzusehen. Info-Point täglich von 10-20 Uhr geöffnet, Führungen, Katalog 5 Euro.