„Die schönen Tage von Aranjuez“ im Marstall
Ewig unverstanden, und jetzt auch noch Handkes Altmännerfantasie
Das beste Bühnenstück von Peter Handke ist und bleibt „Die Stunde da wir nichts voneinander wussten“. Denn es kommt nach 60 Seiten Regieanweisungen ganz und gar ohne Worte aus. In seinem jüngsten Theatertext „Die schönen Tage von Aranjuez“ hingegen schlägt die Stunde, in der ein Mann alles wissen will von einer Frau, mit der er vermutlich einmal eine Beziehung hatte. Im Marstall inszenierte Daniela Löffner den „Sommerdialog“ (so Handkes Untertitel) als Wohnküchen-Geplänkel zwischen Weißwein und Gurkenschüssel.
Die 33-jährige Daniela Löffner ist Hausregisseurin am Staatstheater Braunschweig und zeigte mit ihrer Züricher Inszenierung von Gorkis „Kinder der Sonne“ beim letzten Volkstheater-Festival „Radikal jung“, dass sie ihr vorwiegend bei Jürgen Gosch erlerntes Handwerk exzellent beherrscht. Das sieht man auch im Marstall: Michaela Steiger und Markus Hering liefern sich souverän und fein nuanciert ein mit symbolgeladenen Küchenaktivitäten angereichertes Wort-Duell. Dennoch interessiert einen diese unendlich geschwätzige, private Vergangenheitsaufarbeitung nicht: Sie ist letztlich nur eine verschwitzte Altmännerfantasie über die Sexualität von Frauen. Hochpoetisch verbrämt natürlich. Der 70-jährige Handke wollte erkunden, wie Frauen ticken, und erwartbar erweist sich, dass Männer das nicht verstehen können.
Man kann nicht zueinander kommen. Auf der spiegelbildlich symmetrischen Wohnküchen-Bühne (Claudia Kalinski) trennt eine unsichtbare Mittelwand Mann und Frau. Beide tun dasselbe, packen Erdbeeren aus, öffnen Weißweinflaschen, reden miteinander, blicken aber ganz woanders hin. Zwei Welten. Der Mann verlangt Bekenntnisse über ihre „Fick- und Vögeljahre“, sie antwortet: „Ich habe nie gevögelt, geschweige denn gefickt.“ Er will wissen, wie ihr erstes Mal mit einem Mann war, sie erzählt ihm ein Kindererlebnis auf der Schaukel. Auskunft gibt nur sie, und enthüllt dabei zunehmend eine feministisch autonome Haltung. Er gibt nur durch seine Fragen preis, welche Sehnsucht und Einsamkeit ihn umtreiben. Er will ein Fest feiern, und sie sagt kühl: „Das Gemetzel kann warten.“ Das Beziehungs-Gemetzel erspart Handke ihnen und uns. Alles bleibt im Ungefähren, nichts wird wirklich ausgesprochen - das aber ungemein wortreich und mit hohem lyrischen Ton.
„Die schönen Tage in Aranjuez sind nun zu Ende“, lautet der erste Satz in Schillers „Don Karlos“. Auch hier sind die schönen Tage längst Vergangenheit. Erotik und Naturerlebnisse mischen sich zur seufzenden Abschiedselegie. Sie weiß das, er will's nicht wahrhaben. Referiert aber lange über das Springkraut „Noli me tangere“. Denn „rühr mich nicht an“ ist für beide die Maxime. Auch wenn die Regisseurin die getrennten Sphären allmählich mit kleinen Aktionen am Küchentisch durchbricht: Er schält die Gurken, sie hobelt sie klein, er püriert sie, sie durchlöchert mit der Gabel so vehement den Deckel des Joghurt-Bechers, dass sie bis zum Ende der Aufführung die Spritzer im Gesicht und auf der Kleidung trägt. Aber ihre Blicke kreuzen sich erst ganz zum Schluss. Und darin liegt keine Zukunft. Nur viel - auch für den Zuschauer - verschwendete Zeit.
Marstall, 17., 25. Juli 2013, 20 Uhr, Marstallstraße 4, Tel. 2185 1940