Interview mit Cornelia Froboess zum ihrem 70. Geburtstag
"Was will ich sagen mit der Figur? - Das ist das einzige, was zählt"
Eigentlich ist es unhöflich, statt Cornelia Froboess nur „die Froboess“ zu sagen. Doch für Schauspieler ist das ein Adelsprädikat: Ihr Name wird Synonym für große Kunst. Die erlebt man, wenn die Froboess auf der Bühne steht. Anfang der 50er Jahre sang die kleine Cornelia als Kinderstar den Nachkriegsdeutschen mit „Pack' die Badehose ein“ Freizeitwonne ins Herz. In den späten 50ern und frühen 60ern rockte sie als Teenie-Schlagerstar Conny mit Peter Kraus die Kinos und Hitparaden. Und begann gleichzeitig mit einem Schauspielstudium ihre dritte, größte Karriere im Theater - weg von Starruhm und Showglamour, hin zur Suche nach wahrhaftem Ausdruck. Seit 1972 gehörte sie zum Ensemble Münchner Kammerspiele, das von 1976 an Dieter Dorn prägte. Mit ihm wechselte sie 2001 ans Residenztheater, wo sie derzeit in David Mamets Stück „Die Anarchistin“ als inhaftierte Ex-Terroristin zu sehen ist und ab 14. Dezember 2013 als Lady Bracknell in Oscar Wildes „Bunbury“. Heute (28.10.2013) feiert sie ihren 70. Geburtstag - nur mit der Familie. „So ein Gedöns, das ist nicht meins“, sagt Cornelia Froboess, die ihre zarten Fältchen höchst charmant schmücken.
Frau Froboess, was gibt es Schönes am Alter?
Cornelia Froboess: Man kann uns nicht mehr so viel vormachen, wir fallen nicht mehr so leicht rein. Und als Schauspieler kann man durch die Lebenserfahrung oft Figuren besser verstehen.
Man hat sich Sorgen um Sie gemacht, als Sie letzten Dezember in der Premiere von „Die Anarchistin“ einen Schwächeanfall hatten und die Vorstellung abgebrochen wurde. Sie haben noch rollengerecht gebeten, in Ihre Zelle geführt zu werden, an einer Stelle, wo das nicht im Text stand. Können Sie das heute angstfrei spielen?
Ich weiß gar nicht, welche Stelle es war. Es war alles dunkel, wie eine Ohnmacht, nur dass ich wach war und alles sah. Die Ärzte haben überhaupt nichts gefunden. Die Neurologen sagen, dass es sowas gibt - einen plötzlichen rasanten Anstieg des Blutzuckerspiegels und des Blutdrucks durch Überarbeitung. Und wir hatten vorher Tag und Nacht gearbeitet mit viel zu wenig Schlaf. Aber es hat nichts in der Psyche hinterlassen, wohl, weil's kein Eigenversagen war.
Wie bleiben Sie jetzt fit?
Durch Arbeit. Ich muss nur schauen, dass es nicht zu viel wird. Ich mache keinen Sport. Zu Hause hab' ich meinen Garten. Bücken und Strecken sind nicht immer gesunde Bewegungen, aber man weiß wenigstens, warum's einem wehtut. Wichtig ist, dass man sich Ruhezeiten gönnt.
Gerade haben Sie den TV-Film „Freundinnen“ abgedreht, den die ARD im Frühjahr 2014 senden will. Da spielen Sie eine Putzfrau, Senta Berger ist Ihre schnöselige Chefin.
Die Arbeit mit Senta war schön und spannend - hoffentlich haben wir davon was eingefangen. Sowas habe ich lange nicht mehr gespielt. Ich werde ja gern eingesetzt für die hochkomplizierten Charaktere, immer so bedauernswerte, armselige Kreaturen. Hier spiele ich mit Berliner Dialekt eine bodenständige, robuste, proletarische Frau, die das Leben anpackt. Sie hat einen großen Hang zu Sentimentalität, viel Gefühl, ist verletzbar, kann aber auch ordentlich Kontra geben. Der Reiz ist das total ungleiche Frauenpaar. Soviel gibt's ja nicht, was man in meinem Alter noch spielen kann und möchte. Da kommen meist nur doofe Omi-Rollen. `Ne schräge Oma, das wär' ja 'ne Aufgabe.
Ihre nächste Aufgabe ist die resolute Lady Bracknell in Oscar Wildes „Bunbury“. Rutschen Sie damit ins Fach der komischen Alten?
Klamotte würde ich nicht machen. Gerade Figuren mit komischem Potenzial muss man existentiell ernsthaft spielen. Das Primäre ist die Wahrhaftigkeit. Egal, ob man Spagat oder Blödsinn macht, der Zuschauer muss der Figur folgen können. Man muss was auslösen in ihm. Man kann sich nicht mit allen Figuren identifizieren, aber man muss sie verstehen, auch wenn sie noch so abgründig sind. Aber wir haben früher auf Proben immer viel gelacht, auch bei „Maria Stuart“.
Da ist Ihnen in Ernst Wendts Kammerspiele-Inszenierung ein legendärer Versprecher passiert. Statt „Man weiß, um welcher Tugend willen Anna von Boleyn das Schafott bestieg“, sagten Sie: „...Anna von Schwulin das Fagott bestieg.“
Das flutscht ja auch viel leichter von der Lippe. Ich kann den Satz heute noch nicht korrekt sagen. Die Kollegen haben fluchtartig prustend die Bühne verlassen, ich stand plötzlich mutterseelen allein da, bis mich die mutige Heide von Strombeck in die Kulisse zog. Ich wusste ja gar nicht, was ich gesagt hatte. Ernst Wendt meinte danach nur: Nein, das ist zu gut, um wahr zu sein.
Offenbar gab's früher auch mehr Raum für interne Aufführungs-Scherze.
Bei „Groß und Klein“ von Botho Strauss saß ich in einer Szene allein hinten in einem Wartesaal. Plötzlich schlurften zwei Schauspieler vorbei, die gar nicht mitspielten. Lambert Hamel und Monica Bleibtreu hatten in der Kantine beschlossen: Wir besuchen die Conny auf der Bühne. Sie gingen ganz ernsthaft stumm durch den Raum und setzten sich an den Rand. Ich hab' nur gedacht: Bloß nicht hingucken! Zur Strafe mussten die beiden das auch in den nächsten zwei Vorstellungen tun.
Ihr erstes Engagement war 1963 am Landestheater Salzburg. Da war Hellmuth Matiasek Intendant. Seit 46 Jahren sind Sie verheiratet. Wie wichtig war Ihr Mann für Ihre schauspielerische Entwicklung?
Er war und ist mein strengster Beobachter. Nie destruktiv, immer hilfreich. Und nie kritiklos. Ich staune immer wieder, wie jung und frisch seine Sicht auf die Dinge ist.
Was zählt wirklich auf der Bühne?
Nur die Frage: Was will ich sagen mit der Figur? Das wusste ich seit der Arbeit mit George Tabori. Mit Gisela Stein habe ich „Mein Herbert“ von Achternbusch gespielt, sie als Mutter, ich als Sohn in verschiedenen Altern. Vor der Premiere haben mir die Hände gezittert. Tabori sagte nur: „Benutz' das! Der kleine Herbert hat auch Angst.“ Auf der Bühne hab' ich Gisela Stein meine zitternden Hände entgegengestreckt. Sie hat sie einfach genommen - und die Angst war weg. So arbeiten zu können, hängt immer ab von Konstellationen und Partnern. Mit Sibylle Canonica arbeite ich in „Die Anarchistin“ so wunderbar wie damals bei Tabori. Wir müssen nichts mehr bedienen, uns nichts mehr beweisen. Sondern lassen uns total existentiell aufeinander ein und fangen uns auf. Das sind Sternstunden.
Was regt Sie auf in der Welt?
Die uns immer näher kommenden Kriegs- und Flüchtlingskatastrophen belasten mich zutiefst. Und dass in unserer lauten Event-Gesellschaft nur Äußerlichkeiten und Oberflächlichkeiten zählen. Ein Beispiel: Als ich 2010 in der Berlinale-Jury war, zeigte mir der Betreuer im Hotelzimmer stolz eine Kleiderstange mit vielen Kleidern. Ich meinte, pardon, das Zimmer sei wohl schon vergeben. Er sagte: „Nein, das sind Ihre Kleider für die offiziellen Auftritte. Schmuck dazu haben wir auch.“ Ich antwortete: „Ich behänge mich nicht mit fremdem Schmuck und fremden Kleidern.“ Die konnten das nicht fassen! Die süße Jury-Kollegin Renée Zellweger brachte mir jeden Morgen im Trainingsanzug Kaffee. Aber am Abend der Präsentation sah ich sie auf dem roten Teppich wie eine Salzsäule für die Fotografen posieren. Ich dachte, das ist ein anderer Mensch. Als man mir einen Stundenplan mit den Repräsentationsterminen gab, sagte ich: „Dafür hab' ich keine Zeit, nur wenn's ganz wichtig ist. Ich muss meine Hausaufgaben als Jurorin machen.“ Dieter Kosslick hat das augenzwinkernd verstanden. So habe ich meine Kräfte eingeteilt und mich nicht verloren. Sich nicht zu verlieren, ist das Wichtigste.
Was ist Glück für Sie?
Heute herrscht der Zwang zum Erfolg und zum Glücklich-Sein - die ganze Orientierung hat sich verschoben. Aber Glück ist eine Gnade, für die man sich im Kleinen bescheiden muss. Glück entsteht nur durch Offenheit, Vertrauen und mit richtigen Partnern. Man muss offen sein für Dinge und Menschen, die auf einen zukommen, um sie nicht zu übersehen. Ich wünsche mir für uns alle mehr Ruhe und Zeit füreinander. Wenn es gesundheitlich - toi toi toi - so bleibt, wie es ist, bin ich sehr glücklich.