"radio.string.quartet.viena" in der Unterfahrt
Tschigan, spiel uns den Wiener Weather Report!
Manche Streichquartette sind richtig eruptiv. Harmonien verschieben sich wie Gesteinsplatten und unter Kreischen und sonorem Dröhnen steigt der Druck. Magma-Kammer-Musik – dann Ausbruch. Dann beruhigt sich wieder alles, wie im Flug einer rückwärts laufenden Explosion in den Ursprung zurück – man entspannt an einem seidigen Wasserspiegel-Akkord. Das ist Streichquartett-Dynamik. Wenn so ein Quartett dann auch noch aus Wien kommt und sich dazu noch den Ober(schla)wiener Jo Zawinul zum Thema gemacht hat, bleibt einem erst mal nur ein anerkennendes „Bist du deppert“. „Posting Joe“, die mittlerweile fünfte CD von "radio.string.quartet.viena", bestätigte diese erste intuitive Erkenntnis. Es war nämlich großartig.
Nach herrlich explosiven Exkursionen im Nachthimmel durch Bildwelten von Chagall und Dali, vorbei an fiedelnden Tschigans und Akkordeonisten mit Zawinul-Woll-Kippa fanden wir uns immer wieder fein zurück in gleicher Sitzordnung auf den Stühlen vor der Unterfahrt-Bühne. Nur die Tafel mit den Waldpilzen in Riesling-Cognac-Sahne war gelegentlich ein bisschen verrutscht.
Gibt es ein Schöpfungskonzert? Wenn nicht, dann spielten Bernie Mallinger und Igmar Jenner (Violinen), Cynthia Liao (Bratsche) und Asja Valcic (Cello) ein solches. Sie ließen Klänge von archaischer Urkraft und Geschmeidigkeit zusammenfließen. Größte Nervosität fiel in Abgründe des schwärzesten Wohlgefühls. Überhaupt Klänge, an denen die Elastizität eines Ursprungs haftete. -Musik, mit so vielen großartigen Momenten, dass man nicht mehr fragen wollte, warum oder wie, was oder woher? Immer wieder blieb einem nur ein innerlich anerkennendes „Bist du deppert“, gefolgt vom Anheben eines Glases vor sich.
Es ist schon absolut gewagt, die Fusion-Legende Weather Report mit seinen Titanen Wayne Shorter, Jaco Pastorius und eben Jo Zawinul in ein Streichquartett umformen zu wollen! Zawinul, der Störenfried, Bastler, Rebell, Boxfan, Akkordeonist und Baumeister der irrsten Synthie-Burgen, Albtraum aller Tontechniker der Welt, ist nicht kompatibel. Er geht einfach nicht auf.
In der Musik des Quartetts begegnet er uns dafür in anderer Gestalt. Ein Sanfter, Träumender scheint aus den Tiefen seiner Herkunft aufzutauchen in den ruhigeren Stücken wie „Dream Clock“, „Peace“ oder beim Intro von „Cannonball“. Klassisch harmonische und phönizische (arabische) Mollskalen werden plötzlich an den Saiteninstrumenten deutlicher. Immer wieder vermeint man in solchen Zitaten diesen Ruf zu hören: Spiel Tschigan, flieg von der Puszta über Panonien hinein in die Kaffeehäuser eines Karl Kraus oder Joseph Roth und spiel für uns. Ein Wiener Weather Report.
Mindestens genauso stark aber bleibt in Erinnerung der gewaltige Groove des Quartetts. Beide Geiger holen aus den, durch weit aufgezogene Mikrophone regelrecht scharf gemachten Instrumenten, Unglaubliches an Perkussionspower heraus. Die Bögen klopfen, streichen tonlos wie auf einem feinen Waschbrett, reißen, hüpfen, meckern. Flageolets spielt Bernie Mallinger flüssig und leicht durch die ganze Skala als wäre es nichts. „Volcano For Hire“ beginnt mit einem mörderischen Shuffle, von Cynthia Liao noch angetrieben, die Magma-Kammer kocht schnell hoch. Da fällt das Cello mit Asja Valcic ein mit einem unglaublich krätzig geilen Uptempo-Riff, extrem fetzig und doch sonor. Nicht spielbar. Wahnsinn. Es ist mal wieder soweit. Man winkt wieder innerlich ab und der Bedienung zu. „Bist du deppert“. Nein, nicht sie, bitte noch ein Vierterl! Zum Nachträumen!