Interview mit Marius von Mayenburg über Oscar Wildes "Bunbury oder..."
"Wir wollen das richtige Leben im falschen führen"
Es ist schon ein hanebüchener Schmarrn, aus dem Oscar Wilde 1895 seine Salonkomödie „Bunbury oder Von der Notwendigkeit, ernst zu sein“ gestrickt hat. Algernon hat sich den kranken Freund Bunbury erfunden, Jack den leichtlebigen Bruder Ernst. Beide dienen als Vorwand für Fluchten aus dem Alltag. Und die verrückte Volte zum Happy End nimmt das absurde Theater vorweg - kein Groschenroman würde sich soviel Kolportage trauen. Dem grandiosen Ironiker Oscar Wilde war der aberwitzige Plot nur hochelegantes Vehikel für satirische Kritik an der britischen High-Society. Marius von Mayenburg, Hausautor, Dramaturg und Regisseur an der Berliner Schaubühne, hat „Bunbury“ fürs Resi neu übersetzt und inszeniert. Man spielt im Cuvilliéstheater. Der in München geborene Mayenburg arbeitet seit 1999 vor allem an der Berliner Schaubühne.
Herr von Mayenburg, was reizt Sie als 41-Jährigen an Wildes 118-jähriger Komödie?
Marius von Mayenburg: Das Thema des Doppellebens. Wir führen nach wie vor Doppelleben, auch wenn die Gesellschaft nicht mehr so prüde ist wie im viktorianischen England. Wir weichen aus, suchen Nischen, wollen das richtige Leben im falschen führen. Wir stellen das eigene Anliegen hintan, um einer gesellschaftlichen Norm zu genügen. Wir starten keine Revolution, sondern verändern uns selbst, bis wir in die Gesellschaft passen.
Wie boulevardesk gehen Sie das als Regisseur an?
Hinter der glitzernden Oberfläche der Komödie sind einige Abgründe verborgen - die wollen wir ausloten. Dieses Hinterland der Figuren ist manchmal gar nicht komisch. Ich frage beim Inszenieren immer nach dem Problem der Figur. Algernon ist ein adliger Schnösel, aber bankrott. Jack hat viel Geld, aber keine Biografie, keine Herkunft, keinen Namen. Beides - Geld und Herkunft - sind gesellschaftlich wichtig. Die Not ihres Fehlens macht alle Handlungen doppeldeutiger und doppelbödiger. Man kann fast jede Pointe und Paradoxie wörtlich nehmen. Wilde hat überall Fußangeln versteckt, auf die man nur hören muss.
Wilde zeichnet die beiden jungen Mädchen, in die sich die Männer verlieben, frech und selbstbewusst. Sind die schon emanzipiert?
Die haben manchmal verblüffende Sätze, aber Emanzipation ist nicht so billig zu kriegen. Sie wollen aus ihrer quälenden Isolation raus und entwickeln den Spleen, ihr künftiger Mann müsse Ernst heißen. Emanzipation würde bedeuten, sich aufzulehnen und aus eigener Kraft zu befreien.
Wirklich emanzipiert ist nur die dominante Lady Bracknell. Die hat das System clever für sich instrumentalisiert.
Sie hat sehr viel Macht, alle tanzen nach ihrer Pfeife. Algernons Bunbury-Lüge hat sie sicher längst durchschaut. Aber sie spielt das Spiel - und die anderen müssen nach ihren Regeln mitspielen.
Was übertragen Sie die Problematik ins Heute?
Ich frage mich: Was für Leute geraten heute unter gesellschaftlichen Druck? Vielleicht junge Leute, die von reichen Eltern abhängig sind und denen zuliebe Jura oder Medizin studieren? Und Sehnsucht haben nach einem wilden jungen Leben, wofür man heute ja keine soziale Ächtung mehr fürchten muss. Ich sehe Wildes Stück mehr als modellhafte Versuchsanordnung denn als Abbildung von Realität, das möchte ich übertragen. Wie soll man eine Komödie anders bedienen, als dass man sie ernst nimmt? Aber es ist manchmal schwer, ihr nicht auf den Leim zu gehen.
Ihre Theater-Karriere begann 1998 an den Kammerspielen mit Ihrem Erstling „Feuergesicht“. 1999 wurden Sie Hausautor und Dramaturg an der Berliner Schaubühne, seit 2009 inszenieren Sie auch selbst regelmäßig.
Wenn man zehn Jahre ein Ensemble mit aufgebaut und Schauspieler begleitet hat, will man doch mal sehen, ob man das eigene ästhetische und methodische Wollen auch anderen vermitteln kann. Ich arbeite gern im Team. Regie ist ein schönes Gegengewicht zur einsamen Schreibtischarbeit.
Im Marstall haben Sie 2012 schon „Call Me God“ inszeniert. Strecken Sie Ihre Fühler wieder mehr nach Ihrer Heimatstadt München aus?
Ich bin sehr gerne hier am Haus. Es ist befruchtend, mal in einem anderen Kontext zu arbeiten.
Cuvilliéstheater, 14., 15. Dezember 2013, 19 Uhr (die Vorstellung am 17. entfällt), dann wieder 21. Dezember (19.30 Uhr), 1. Januar 2014 (19 Uhr) und 12. Januar 2014 (19 Uhr); Telefon 2185 1940