Begegnung mit Amélie Niermeyer/Juliane Köhler zu "Was ihr wollt" im Resi
Lesbisch? Midlife-Crisis? Nein, es geht einfach um einen Neuanfang
Ihre erste gemeinsame Arbeit wissen sie auf Anhieb: Die Marivaux-Komödie „Der Streit“ im Cuvilliéstheater 1993. Seitdem sind sie ein erprobtes Team: In mehr als zehn Inszenierungen von Amélie Niermeyer spielte Juliane Köhler die Hauptrollen – in München, Freiburg, Frankfurt und Düsseldorf, den Stationen von Niermeyers Regie- und Intendantenlaufbahn. 1997 feuerte der damalige Resi-Chef Witt die Schauspielerin, weil ihre Drehtermine mit Theaterproben kollidierten. Doch mit dem Film „Aimée und Jaguar“ begann 1998 ihre steile Kino-Karriere. Köhlers jüngster Film „Zwei Leben“ kam in die Endauswahl der neun besten ausländischen Produktionen für die Oscar-Nominierung. Ans Residenztheater ist Juliane Köhler schon vor Jahren zurückgekehrt. Nun spielt sie hier in der Inszenierung von Amélie Niermeyer in Shakespeares „Was ihr wollt“ die schiffbrüchige Viola, die als Mann verkleidet im fremden Illyrien Diener des Herzogs Orsino wird.
Der schmachtet liebeskrank nach der spröden Olivia, Viola alias Cesario muss den Postillon d'amour abgeben. Dabei verliebt sie sich unsterblich in Orsino und wird als Cesario heftig von Olivia begehrt.
Für Amélie Niermeyer war klar, dass Juliane Köhler das Zentrum sein sollte: „Juliane ist eine Komikerin, das ist selten bei Frauen. Und ich wollte das Stück älter besetzen als üblich. Bei uns sind das nicht junge, launenhafte Verliebte, sondern Liebende in der Mitte des Lebens. Ihre Krisen sind existenzieller, es geht um grundsätzliche Fragen, wie man liebt und lebt.“
Die Regisseurin nimmt die Katastrophe ernst, dass Viola in der Fremde mit gar nichts ankommt und ganz neu anfangen muss: „Das geht in Illyrien eben nur als Mann. Sie beginnt in der Mitte des Lebens wieder bei Null.“ Was aus Juliane Köhlers Sicht zur Identitätskrise führt: „Viola ist verzweifelt, da sie ein Mann sein muss. Doch allmählich fragt sie sich: Wer bin ich? Will ich mich überhaupt wieder zurückverwandeln in eine Frau? Denn sie liebt beide – Orsino und Olivia. Das Ziel ihres Weges ist ihr nicht mehr klar. Das ist ihre existenzielle Not.“
Es gehe, betonen beide, weder um eine Midlife-Crisis, ein Mann-Frau-Thema oder darum, ob Viola vielleicht lesbisch sei. Sondern um einen Neubeginn in der Lebensmitte. „Viola steht zwischen zwei Menschen, die sie liebt“, erklärt Niermeyer. „Sie kann sich sogar vorstellen, ein Mann zu sein. Orsino und Olivia dagegen sind festgefahren in Mustern, aus denen sie nicht rauskommen. Viola sprengt das alles und steckt dann selbst in der Krise. Das ist auch komisch, nicht nur tragisch.“
Komisch sind jedenfalls die Trunksüchtlinge Toby und Andrew sowie die listige Dienerin Maria, die dem eingebildeten Gutsverwalter Malvolio einen bösen Streich spielt. Shakespeares Happy End mit drei Paaren gibt's bei Niermeyer allerdings nicht: „Der Schluss bleibt eher melancholisch. Die Zwillinge finden sich wieder, ihre lange Suche ist damit beendet.“ Die Zuschauer könnten trotzdem glücklich nach Hause gehen, meint Köhler: „Mit unserem Ende liegen wir wahrscheinlich sogar beim Geist des Stückes.“
Eine Kommentar-Ebene schafft der Sänger Ian Fisher als Narr. Komponist Fabian Kalker, der mit Fisher in einer Band spielt, hat die Narren-Lieder sowie Shakespeare-Sonette vertont. Somit wird viel Musik „der Liebe Nahrung“ geben. Die Übersetzung schrieb Angela Schanelec 2007 für Jürgen Gosch. „Sie hat eine sehr direkte Sprache gefunden, aber nicht angestrengt modern, aus der wir eine konzentrierte Fassung erarbeitet haben“, sagt die Regisseurin. Das Bühnenbild zeigt eine riesige Welle, die sich auf die Zuschauer zubewegt. Die Kostüme verweisen laut Niermeyer auf eine andere Zeit: „Illyrien ist ja ein Fantasieort in einer fernen Zeit.“
Das Fiebern über die nun doch knapp verpasste Oscar-Chance hat Köhler ausgeblendet: „Ich bin jetzt im Premierentunnel.“ „Juliane kann sehr fokussieren“, lobt Niermeyer. Konkrete neue Projekte hat Köhler noch nicht. Niermeyer inszeniert im Sommer „Gefährliche Liebschaften“ in Frankfurt und die Mozart-Oper „Titus“ in Salzburg, wo sie sie seit 2011 am Mozarteum unterrichtet. Die gleichaltrigen Künstlerinnen haben zusammen viel erlebt, gemeinsam geurlaubt, auch ihre Kinder sind gleich alt. Arbeit und Freundschaft trennen sie jedoch strikt. Aber das gute Sich-Kennen erleichtert die Verständigung doch sehr.
Residenztheater, Telefon 2185 1940