Interview mit Peter Ruzicka, Intendant der Münchener Biennale

"Die letzte Frage lautet immer: Warum komponieren Sie eigentlich?"

von kulturvollzug

Der Dirigent und Komponist Peter Ruzicka. Foto: Anne Kirchbach

Seit 1996 moderiert Peter Ruzicka, Komponist und Künstlerischer Leiter der Münchener Biennale, die Klangspuren-Konzerte. Ruzicka hat neben der Ausbildung am Hamburger Konservatorium und Kompositionsstudien bei Hans Werner Henze und Hans Otte Rechtswissenschaften studiert und wurde mit einer Arbeit zum Urheberrecht promoviert. Seine eigenen Werke, darunter viele Solo- und Kammermusiken und Orchesterwerke sowie zwei Musiktheaterstücke, Celan (Uraufführung 2001) und "Hölderlin. Eine Expedition" (2008), wurden mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet. Anne Mazuga vom Kulturvollzug sprach mit Peter Ruzicka, der heuer nach der 14. Münchener Biennale für Musiktheater die Intendanz abgibt. Das Festival vom 7.-23. Mai 2014 trägt das Motto "Außer Kontrolle". 

Wenn man sich unter Musikfreunden umhört, gewinnt man den Eindruck, dass viele Leute vor zeitgenössischen Kompositionen eine gewisse Scheu haben. Sie fürchten, dass sie diese Musik nicht verstehen. Können Sie diesen Eindruck nachvollziehen?

So generell würde ich das nicht sagen. Gerade in München sind die Veranstaltungen der Biennale geradezu umlagert von einem Publikum, das auch aus Nichtspezialisten besteht, einem sehr breiten Publikum, das sich für musikalische Grenzüberschreitungen interessiert. Und wenn Sie an Institutionen wie die musica viva denken, mit dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks, da ist jedes Konzert ausverkauft, ohne dass besondere Vermittlungen stattfinden, einfach weil genügend Neugier vorhanden ist auf neue Klangerfahrungen.

Aber die Klangspuren sind vom Typus her schon angelegt auf ‚education‘, auf Vermittlung, weil der Komponist, der porträtiert wird, jeweils auch als Programmgestalter und als Mitmoderator in Erscheinung tritt. Es wird also nicht einfach eine Uraufführung und ein von ihm zusammengestelltes Programm präsentiert, sondern das Publikum wird direkt angesprochen – also Neue Musik zum Anfassen, mit Hörhilfen, Informationen zu den Werken, manchmal auch ein wiederholtes Hören. Das hat sich sehr bewährt und der Erfolg hat sich sehr bald eingestellt. Wir haben da ein Stammpublikum, das auch aus Hörern besteht, die nicht mit der Neuen Musik großgeworden sind, sondern einfach interessiert sind an neuen Begabungen und der Entdeckung neuer, interessanter Werke.

Wie findet diese Musikvermittlung bei den Klangspuren-Konzerten konkret statt?

Die Hörhilfen, die wir geben, gehen wesentlich auch auf die Biografie der Komponisten und die von ihm ausgesuchte Programmfolge zurück. Er soll eine Art tönende Biografie vorstellen, also sagen, welche Werke aus welchen Zeiträumen für ihn besonders prägend waren, was auch immer einmal ein Werk der Klassik und der Romantik einbezieht, nicht nur neue Musik. Wie ist er zur Musik, wie ist er zum Komponieren gekommen? Und die letzte Frage lautet immer: Warum komponieren Sie eigentlich? Ich glaube, solche Fragen und die dazugehörenden Antworten geben dann doch schon sehr viele Erkenntnisse über den Komponisten und geben einen Einblick in dessen Werkstatt.

Vielleicht könnten Sie ein paar Worte zum Gast des nächsten Klangspuren-Konzertes sagen, Mark Barden. Was schätzen Sie an seinen Kompositionen?

Es ist, nebenbei gesagt, nun der letzte Gast überhaupt in dieser Reihe, die in ihrer bisherigen Erscheinungsform dann ihr Finale haben wird, nach über 90 Folgen, die in der Ära Hans Werner Henze begonnen haben, weil er – zu Recht – meinte, es sollte zwischen der Zweijahresfolge der großen Opernproduktionen des Festivals auch noch eine kleinere Veranstaltungsreihe geben. Und ich füge hinzu: Sehr häufig als eine Art tönende Visitenkarte von Komponisten, die dann später einen Auftrag bekommen haben für die Münchener Biennale, für große Opernproduktionen.

Mark Barden, ich habe ihn kennengelernt, als ich vor zwei Jahren eine Vertretungsprofessur an der Musikhochschule Freiburg übernommen und dort die Meisterschüler von Jörg Widmann unterrichtet habe. Darunter fiel er mir als eine ganz außerordentliche Begabung auf, ein junger Amerikaner, der musikalisch wirklich ‚Ich‘ sagte, dessen Musik eine ganz eigene Prägung aufwies. Und so war mir bald klar, ich würde ihm Gelegenheit geben, ein Stück für die Klangspuren zu schreiben. Mittlerweile ist er auch schon arrivierter, er wird an den Brennpunkten der Neuen Musik vielfach aufgeführt, sein Name wird immer häufiger genannt, auch die ganz großen Festivals haben sich jetzt seiner angenommen, und so ist es auch der rechte Zeitpunkt, denke ich, Mark Barden in München einmal vorzustellen.

Die anderen Kompositionen, die auch am 27. zu hören sein werden, stehen die in Zusammenhang zu Bardens eigener Komposition an diesem Abend?

Die eingeladenen Komponisten werden auch engagiert als Programmgestalter, das heißt sie sind frei, innerhalb der Besetzungsgröße zu planen, die natürlich von der Raumdisposition her begrenzt ist – fünf Instrumente, mehr gehen eigentlich in der Blackbox nicht aufs Podium. Der Komponist soll also Werke aussuchen, die in Beziehung stehen zu seiner eigenen Musik und besonders auch zu dem uraufzuführenden Werk. Wir sind in allen Punkten diesen Vorschlägen gefolgt. Er wird das dann auch begründen im Gespräch mit mir, warum er Alexander Skrjabin, Galina Ustwolskaja, Johann Sebastian Bach, Morton Feldman, Rebecca Saunders, Skrjabin noch einmal, Helmut Lachenmann und James Tenney ausgewählt hat, so dass sich ein instruktiver Einblick in seinen Werdegang als Komponist, als Musiker ergeben wird. Die Programmgestaltung ist also immer ganz in der Hand des Komponisten, es wird nichts vorgegeben, es wird nur gebeten, auf die Besetzungsgröße Rücksicht zu nehmen.

Die Konzertreihe Klangspuren Plus endet jetzt nach 20 Jahren. Sie haben für Mark Barden eben den interessanten Begriff verwendet, dass er im Stande sei, musikalisch ‚Ich‘ zu sagen. Gilt das für alle Künstler dieser Reihe, dass es da etwas gab, wobei Sie aufgehorcht haben und dachten: ‚Das ist eigen‘?

Ja, das ist genau der Punkt. Jeder Komponist hat ja eine Phase ganz am Anfang, wo er mit musikalischen Vorbildern arbeitet, er sich vielleicht sehr nah am Vorbild befindet, zumindest dann, wenn der Kompositionslehrer eine besonders starke Persönlichkeit ist – denken wir an Lachenmann oder an Rihm, die ja eine Vielzahl von Schülern hatten mit einer besonderen Affinität zu ihren Vorbildern. Da gibt es manchmal das Phänomen, dass dabei eine Musik aus zweiter Hand herauskommt, dass die Vorbilder einfach zu stark sind. Aber der Wendepunkt ist dann erreicht, wenn der Komponist sich von solchen Vorbildern löst und schließlich kompositorisch ‚Ich‘ sagt, eine eigene Sprache findet und darin musikalische Gestalten entwickelt. Es ist sehr aufschlussreich, wenn man diesen Punkt in einem Klangspuren-Konzert dokumentieren kann. Wie wird man eigentlich Komponist, wie entwickelt sich die eigene musikalische Sprache?

Sehen Sie eigentlich auch innerhalb der Konzertreihe, wenn Sie auf diese 20 Jahre zurückschauen, eine Entwicklung? Hat sich zum Beispiel die Art und Weise verändert, wie Komponisten ihre eigene musikalische Sprache finden? Waren die Konzerte von Anfang an so begehrt beim Publikum?

Hans Werner Henze hat, was völlig begreiflich ist, sehr darauf geachtet, dass auch seine begabtesten Schüler und Studenten in dieser Reihe vertreten waren. Er wollte ihnen eine initiale Chance geben. Insofern war die Ausgangsposition am Beginn der Konzertreihe eine etwas andere. Ich habe häufig auch Komponistinnen und Komponisten eingeladen, die eine Musiksprache verfolgen, die sehr weit entfernt von meiner eigenen ist. Das hatte für mich einen besonderen Reiz, da die Dialektik des Widerspruchs bei der Moderation dann eine besondere Rolle spielte und ganz grundsätzliche Fragen zu stellen waren.

Zum Abschluss eine grundsätzlichere Frage, die über die Klangspuren-Reihe etwas hinausgeht. Sie haben 2005 in einer Vorlesung als Gutenberg-Stiftungsprofessor beobachtet, dass sich viele Menschen mit Kunst befassen, weil sie sich Schlüsselerlebnisse erhoffen. Sie suchen nach Antworten auf die Fragen, die sie umtreiben. Dagegen haben Sie gesetzt, dass wir uns stattdessen eher mit den Fragen befassen sollten, die die Kunstwerke an uns richten. Was für Fragen können das sein?

Das ist eine Herausforderung, die jedes Kunstwerk an uns stellt, bei der Betrachtung, beim Anhören. Wird hier etwas in Bewegung gesetzt, und seien es nur im Unterbewussten entstehende Fragen. Wenn man sich, um ein Extrembeispiel herauszugreifen, etwa eine Installation von Joseph Beuys ansieht – und dies eine schon vor 30 Jahren aufkommende Fragestellung: Was bewegt das? Bringt mich das zum Nachdenken? Wirft das Fragen an mich auf, verändert das vielleicht sogar mein Bewusstsein? Und in den besten Momenten: Ist mein Leben danach ein anderes?

Das wäre jedenfalls der allerhöchste Maßstab an Kunst, ob sie etwas gesellschaftlich zu bewirken imstande ist. Kann sie individuelle Auswirkungen haben, auf das eigene Leben, auf die Betrachtung der Welt. Das sind Fragen, die sich bei den wichtigsten Werken in allen Kunstsparten ergeben mögen. Und mehr kann Kunst nicht leisten.

Wollen Sie mit durch die Künstlergespräche bei den Klangspuren-Konzerten die Besucher auch – pädagogisch formuliert – dazu anzuleiten, solche Fragen zu erkennen?

Wir geben bei den Klangspuren im Anschluss an das Programm dem Publikum die Gelegenheit, noch Fragen zu stellen an die Komponistin oder den Komponisten. Und da haben sich häufig sehr bemerkenswerte Diskurse ergeben, wenn ein Werk einfach getroffen hat –  und betroffen gemacht, bedenkenswerte Fragen ausgelöst hat. Eine Kommunikation, die ja im normalen Konzertbetrieb nicht stattfindet zwischen einem Komponisten und dem Publikum. Dieses ‚Plus‘ hat sich sehr bewährt.

Wir haben daraus gelernt und einen kleinen Zyklus ‚Nachgefragt‘ auch für die Musiktheaterproduktionen während der Münchener Biennale vorgesehen. Das wird auch diesmal wieder der Fall sein. Hier haben wir immer einen Außenseiter, etwa einen Philosophieprofessor oder einen Politiker gebeten, in die Vorstellung zu gehen und anschließend eine Diskussion mit dem Publikum zu führen. Die unmittelbare Wirkung, die eine Opernaufführung hat, ist bei alledem natürlich komplexer als bei einem reinen Konzertprogramm. Auch die Komponisten haben sich gerne diesem Diskurs gestellt. Hier hatte man den Eindruck, dass etwas Nachhaltiges bewirkt werden könnte. Und dies gehört ja, denke ich, mit zur Aufgabe der Münchener Biennale.

Klangspuren plus  - das Gesprächskonzert der Münchener Biennale mit dem Komponisten Mark Barden ist am Donnerstag, 27.2.14, um 20 Uhr in der Black Box im Gasteig.

Veröffentlicht am: 25.02.2014

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