Die "Bandera-Faschisten" und was sie mit München verbindet
Bayern, die Ukraine – und eine Geschichte aus dem Kalten Krieg
Der Kreml in Moskau begründet die Intervention in der Ukraine nicht zuletzt mit einem notwendig gewordenen Schutz der dortigen russischen Bevölkerung vor den „Bandera-Faschisten“. Bei dieser aktuellen Rundfunkmeldung - in den hiesigen Zeitungen war sie bislang nicht zu entdecken - erinnerte sich unser Autor Karl Stankiewitz, Jahrgang 1928, an geheimnisvolle Ereignisse in den 1950er-Jahren - als München Schauplatz des Kalten Krieges war. Hier sein Blick auf die damaligen Ereignisse - die uns auch die heutigen Verwerfungen besser verstehen lassen.
Zu berichten war seinerzeit eine Geschichte in Fortsetzungen. Sie handelte von Machtspielen, Machtkämpfen und Meuchelmorden, wobei Moskau und allerlei Geheimdienste mitspielten und ein gewisser Bandera eine Schlüsselrolle hatte. Meine Informanten waren Spezialbeamte der Münchner Polizei und eines Ministeriums sowie Journalisten der Exilpresse, vor allem ein trinkfester Ukrainer, der für den US-Propagandasender „Radio Liberty“ und wohl auch direkt für die CIA unterwegs war. Zum Beispiel im Ausländersammellager Zirndorf, wo immer die jüngsten Backgrounds aus dem kommunistischen Osten abzuschöpfen waren und wohin er mich einmal mitnahm.
„München hat sich zum Weltzentrum der Ostemigration entwickelt,“ schrieb ich in einem Korrespondentenbericht vom August 1953. Fast alle Nationalkomitees, Exilregierungen, kulturellen und sozialen Organisationen hatten in der Bayernmetropole ihr Hauptquartier aufgeschlagen. Sie erhoben Anspruch, die Völker hinter dem Eisernen Vorhang in der freien Welt zu repräsentieren. Dabei arbeiteten sie meist selbst nach totalitärem Muster. Sie befehdeten sich buchstäblich bis aufs Messer („Dolch frisch geschliffen,“ hieß eine meiner Geschichten im „Spiegel“). Sie hatten außer dem verschworenen Antikommunismus weder ein gemeinsames Konzept noch überhaupt den Willen zur Zusammenarbeit. Viele waren Kollaborateure der Nazis, andere Deserteure der Sowjetarmee. Einige wie die „Eiserne Garde“ der Rumänen oder der „Frontkämpferverband“ der Ungarn waren militant faschistisch. (Eine Klage von ungarischen Emigranten, die eine „Faschistische Internationale“ planten gegen eine meiner Veröffentlichungen, wurde vom Gericht abgewiesen.)
Unter den rund 80 Ost-Vereinigungen, die dem bayerischen Staatssekretariat für das Flüchtlingswesen bekannt waren, gaben damals aber die Ukrainer ganz klar den Ton an. Sie beherrschten auch den „Antisowjetischen Block der Nationen“ sowie die rechtsextreme „Bandera-Gruppe“, wie sie sich selbst nannte. Diese unterschied sich vom Gros der Emigranten, weil sie nicht nur extrem antikommunistisch, sondern auch antirussisch operierte. Ihre Anhänger schreckten vor Mord und Terror nicht zurück. So verübten sie 1951 im Flüchtlingslager Schleißheim einen Anschlag auf den Chef der konkurrierenden „Ukrainischen Freiheitsbewegung“, den ehemaligen General Gulay.
Am 15. Oktober 1959 hörten Bewohner eines Hauses in der Kreittmayerstraße 7 in München einen Schrei. Als sie auf die Treppe stürmten, fanden sie den mysteriösen Mann vom dritten Stock, der sich als Schriftsteller Stefan Popel ausgab, mit dem Gesicht zu Boden liegend, offenbar bewusstlos. Äußere Verletzungen sah in der Eile niemand. Der Mann starb beim Transport ins Krankenhaus. Sofort schaltete sich die Mordkommission ein und ließ die Leiche öffnen. Die Obduktion brachte zunächst kein Ergebnis. Der Verfassungsschutz wurde hinzugezogen.
Der Tote, das immerhin konnte bald geklärt werden, hieß in Wirklichkeit Stepan Bandera. Er war einer der bekanntesten und – von manchen – gefürchtetsten Politiker der Ostemigration. Sein „Steckbrief“ war romanreif (tatsächlich wurde er 1966 Gegenstand einer ZDF-Doku): 1909 als Sohn eines Priesters in Galizien geboren, stieß Bandera schon 1927 zu einer antisowjetischen Widerstandsgruppe, die sich von einer Terroristengruppe zur militärischen Formation entwickelte. 1933 wurde Bandera deren Führer für den Bereich der polnischen Ukraine. Ein Jahr später organisierte er die Ermordung des polnischen Innenministers Bronislaw Pieracki, wurde gefasst und zum Tode verurteilt, konnte aber entkommen. 1940 wurde er zum Chef der gesamten Untergrundorganisation „gewählt“. Unter deutscher Besatzung verantwortete Bandera am 6. Juni1941 in Lemberg ein Massaker, bei dem 7000 Angehörige von ethnischen Minderheiten getötet wurden. Außerdem proklamierte er eigenmächtig eine „selbständige Ukraine“.
Er kam daraufhin ins KZ Sachsenhausen. Angebote Hitlers, der ihn 1944 zur „Rückgewinnung“ der Ukraine mit einem militärischen Kommando betrauen wollte, schlug er aus, ließ sich dann aber doch zum Anführer einer „Ukrainischen Insurgenten-Armee“ machen, um in den Karpaten mal an der Seite der Wehrmacht gegen die Rote Armee, mal mit polnischen Partisanen gegen die Deutschen zu kämpfen. Nach dem Krieg baute Stepan in der Sowjetunion und in Polen diese Untergrund-Armee namens UPA neu auf, als militärischer Arm der „Organisation Ukrainischer Nationalisten“ (OUN). Ab 1947 führte er von Bayern aus einen Guerillakrieg, über den nur spärlich Nachrichten an die Außenwelt drangen. Sein Name stand auf der Liste der gesuchten Kriegsverbrecher in der Sowjetunion an erster Stelle. Auslieferungsanträge aus Moskau blieben in Bonn unbeantwortet.
1959 verrieten mir Mitarbeiter der Bandera-Zeitung „Der Weg zum Sieg“, dass Aktion und Gegenaktion erheblich verstärkt worden seien. Im November 1958 sollen sowjetische Fallschirmjäger in den Ostkarpaten wochenlang gegen versteckte Einheiten der unter Oberst Kowal operierenden OUN vorgegangen sein. Danach gab es mehrere Prozesse, den letzten in Kiew, wobei 30 von rund 300 angeklagten „Bandera-Banditen“ zum Tode verurteilt wurden. In der „Organisation der ukrainischen Untergrundkämpfer“ in München erklärte man unumwunden, alle diese Widerstandsgruppen zu lenken. Auch Störaktionen gegen den Ukrainer Chruschtschow in Amerika soll Bandera organisiert haben.
In diesem nicht mehr nur Kalten Krieg konnte es nicht ausbleiben, dass mehrmals Attentate auf den Führer der neuen OUN-B verübt wurden. Ein Tscheche, der Bandera entführen wollte, wurde 1958 in München verhaftet. Danach war ein Komplott aufgeflogen, in das 40 Personen verwickelt waren. Ungeklärt blieb ein Sprengstoffanschlag auf die Bandera-Zeitung und das Verschwinden des ukrainischen Generals Horbanjuk. Bandera trat in der Öffentlichkeit nie ohne Leibwache auf. Seine Frau und seine drei Kinder lebten in ständiger Angst. Auch an dem verhängnisvollen Donnerstag begleitete ihn die Bodyguard bis zur Haustür, wo er, entgegen seiner Gewohnheit, die Männer wegschickte.
Dass der politische Abenteurer Bandera an jenem 15. Oktober 1959 durch Applikation von Blausäure im Gesicht umgebracht worden war, konnte der Münchner Gerichtsmediziner Wolfgang Spahn relativ schnell klären. Vergiftung war eine damals üblich gewordene Methode der politischen „Liquidierung“, als deren Urheber der sowjetische Geheimdienst KGB unter starkem Verdacht stand. So kam es im Dezember desselben Jahres zu einem Anschlag auf „Radio Free Europe“, der am Rande des Englischen Gartens sein Hauptquartier hatte (und 1990 nach Prag umzog); in der Kantine wurde Zyankali in Salzstreuern entdeckt. Kurz zuvor war der Pole Zligniew, Mitarbeiter dieses zweiten und potenteren Münchner Ostsenders, an Gift krepiert; der polizeiliche Befund lautete auf Selbstmord.
Wie aber war Stepan Bandera vergiftet worden? Wer war der Mörder? Wer waren die Hintermänner? Das blieb lange ein kriminalistisches und politisches Rätsel. Einem meiner damaligen Berichte gab ich die Überschrift: „Geheimnisse um Bandera“.
Der Fall Staschinski
Am 12. August 1961 fuhr ein Ehepaar vom Ostberliner Bahnhof Gesundbrunnen mit der S-Bahn nach Westberlin. Es war sozusagen höchste Eisenbahn: in der Nacht zum 13. August wurde mit dem Bau der Berliner Mauer begonnen. Die beiden Flüchtenden mussten von dem Vorhaben gewusst haben. Tatsächlich war der Mann ein ziemlich hohes Tier im Hauptquartier des KGB in der DDR, ausgezeichnet mit dem „Kampforden Rotes Banner“. Und tatsächlich hatte die Führung in Moskau den Mauerbau schon Anfang August beschlossen.
Der Flüchtling ging schnurstracks zur deutschen Polizei und dann zu einer amerikanischen Dienststelle, wo er sich als Bogdan Staschinski offenbarte, in Kiew geboren und für Auslandseinsätze beim sowjetischen Geheimdienst geschult. Er sei es, der seinen Landsmann Stepan Bandera getötet habe. Schon im Januar 1959 sei er mit diesem Auftrag unter dem Namen Joseph Lehmann nach München gereist. Er habe Bandera, der mit einem Opel Kapitän vorgefahren sei und einen Korb voll Tomaten getragen habe, an dessen Wohnung aufgelauert.
Als Waffe habe er ein pistolenartiges Rohr aus Leichtmetall benutzt, das eine Ampulle mit dem Giftgas abgefeuert habe. Mit dem gleichen Gerät habe er am 12. September 1957 bereits den Ukrainer-Führer Lew Rebet in einem Haus am Münchner Karlsplatz 8 umgebracht. Die Ermittlungen brachten keinen Hinweis auf einen gewaltsamen Tod. Auch habe er das Funktionieren des neuartigen Mordinstruments zuvor an einem Hund ausprobiert. In allen Fällen habe er sich selbst sofort das ihm mitgegebene Gegengift beigebracht.
Über sein Motiv ließ der Ukrainer die Amerikaner auch nicht im Ungewissen. Er sei einmal der festen Überzeugung gewesen: „Alle OUN-Führer müssen beseitigt werden, wenn sie keine Vernunft annehmen und die Exil-Ukrainer von der Rückkehr in die Heimat abhalten.“ Von dieser Meinung sei er aber längst abgerückt.
Als er in einem Film das krampfartig entstellte Gesicht seines Opfers gesehen habe, sagte der Doppelmörder weiter aus, ergriff ihn erstmals ein „Schock darüber, was ich da auf mein Gewissen geladen habe“. Die Gewissensbisse wuchsen, der Agent für Auslandseinsätze wurde vom eigenen Geheimdienst durch Wanzen und andere Methoden bespitzelt, man glaubte und traute ihm nicht mehr. Es blieb nur die Flucht, wozu ihn seine deutsche Frau drängte, eine Flucht ins Gefängnis.
Zu acht Jahren verurteilte ihn 1962 das deutsche Erstgericht, der Bundesgerichtshof bestätigte dieses milde Mordurteil mit einem Satz, der in die Justizgeschichte einging, inzwischen aber im Strafgesetzbuch geändert wurde: „Täter ist, wer die Tat als eigene will.“ Der Kalte Krieg erforderte es eben, die eigentlichen Täter in Moskau zu sehen. Dort wurde später, im politischen Tauwetter, verkündet: Mord sei nicht länger ein „Mittel zur Erreichung politischer Ziele außerhalb des Sowjetlagers“.
Der Auftragsmörder Bogdan Staschinski, der ebenso wie sein Opfer und ukrainischer Landsmann Stepan Bandera in der späten Sowjetunion als Verräter galt, soll nach seiner Haft mit anderer Identität in Amerika untergetaucht sein.
In der Ukraine indes kam Bandera zu neuen Ehren. Ministerpräsident Wiktor Juschtschenko, auch er Opfer eines unaufgeklärten Giftsprüh-Anschlags, hatte den Unvergessenen zum „Helden der Ukraine“ erklärt, der zur Zeit vertriebene Staatspräsident Wiktor Janukowitsch hat dem ermordeten Russenfeind den Ehrentitel wieder entzogen. Zahlreiche Straßen in der Westukraine tragen nach wie vor den Namen Stepan Bandera. Denkmäler und ganze Museen erinnern an ihn. Und die „Allukrainische Vereinigung Swoboda“ (Freiheit) beruft sich ausdrücklich auf ihn als obersten Nationalhelden und verehrt ihn über die Maßen.
Zu dessen 105. Geburtstag am 1. Januar 2014 versammelte diese Partei etwa 15.000 Menschen in Kiew, wo sie auch den Aufbau des Zeltlagers am Majdan forcierte. Viele Demonstranten traten in alten Partisanenuniformen der UPA auf und riefen: „Bandera, komm und schaffe Ordnung.“ Swoboda bezeichnet sich als „sozialnational“. Die Bandera-Partei erreichte in westlichen Landesteilen bis zu 38 Prozent der Wählerstimmen und verbündete sich mit der Partei „Vaterland“ von Julija Timoschenko.
Am 25. August 2013 hat Swoboda eine Parteizelle in München gegründet, nachdem längst schon Verbindungen zur NPD aufgebaut waren. Wie der antifaschistische Informationsdienst Aida (der mit dem bayerischen Innenministerium ständig im Clinch liegt) meldet, nahmen 40 Leute teil, darunter die ungarische Konsulin. Das Grab des Stepan Bandera, dessen Name wohl in russischen, kaum aber bislang in deutschen Medien genannt wird, auf dem Haderner Waldfriedhof ist eine Wallfahrtsstätte geworden. So schließt sich der Kreis in München.