Steven Scharf im Interview zu "Liliom" in den Kammerspielen
"Da leuchtet was auf, was uns allen begegnen kann"
Hutschenschleuderer sind in Wien die Animateure in den Fahrgeschäften des Praters. Weil das Wort gar so schön ist, blieb es als Berufsetikett an Molnárs traurigem Helden Liliom haften. Im Deutschen wird das immer als Schiffschaukelschleuderer erklärt - sogar im Pressetext der Kammerspiele. Was in Bezug aufs Stück falsch ist. Eine Hutschen ist zwar laut Duden eine Schaukel, aber Liliom lockt im Ringelspiel, dem Karussell, die Leute an. Alfred Polgar hat vor über 100 Jahren „Liliom“ aus Budapest ins Wienerische Ambiente übersetzt, seitdem gilt es als austriakisches Volksstück. Und die gemeinsame Sprache, die Österreich und Deutschland trennt, zementierte wohl das Missverständnis. Hutschen hin oder her: Ferenc Molnárs ungarischer „Liliom“ ist seit der Uraufführung 1909 aus deutschsprachigen Theatern nicht mehr wegzudenken. Nun hat ihn Stephan Kimmig in den Kammerspielen inszeniert. Die Titelrolle spielt der jüngst mehrfach preisgekrönte Steven Scharf. Der 1975 geborene Scharf ist seit 2008 an den Kammerspielen.
Herr Scharf, erst 2010 war Molnárs Vorstadtlegende am Resi zu sehen. Wie viele „Lilioms“ kennen Sie?
Ich hatte das Stück nie gelesen und habe es nie auf der Bühne gesehen. Ich assoziierte damit nur eine glitzernde Karussellwelt. Aber dann fand ich es unheimlich direkt und wahnsinnig geheimnisvoll. Weil der Held nicht mit dem Tod entlassen wird. Es geht einfach weiter.
Das kippt ja ins Märchen: Liliom darf 16 Jahre nach seinem Selbstmord aus dem Jenseits für einen Tag auf die Erde zurück, um seiner Tochter etwas Gutes zu tun.
Ich sehe das als Bild für etwas Unaussprechliches, wonach wir uns sehnen - Erlösung und Erfüllung. Das löst sich nicht mit dem Tod auf. Die sehr berührende Liebesgeschichte im ersten Teil kann Liliom gar nicht annehmen. Sein Tod wird sehr breitgezogen, und die ganze zweite Hälfte beschäftigt sich mit der Situation nach dem Tod.
Im Leben ist Liliom ein Strizzi und Kleingauner aus dem Prekariat. Julie zuliebe möchte er anständig werden – aber er scheitert.
Sigmund Freud sagt, eine der Glücksstrategien im Leben ist die Liebe. Der Nachteil: Sie kann einem sehr weh tun. Als Liliom Julie trifft, überrennt ihn die Liebe – er steckt in der Zwickmühle. Das ist eine unheimliche Schwächung seines Selbstbildes. Weil da soziale Zwänge auf eine extrem männliche Figur treffen. Für die Frau müsste er seine Unabhängigkeit aufgeben. Ein bürgerliches Leben, das kann er nicht. Aber er will Geld beschaffen.
Liliom wird von andern als Frauenverführer und Schläger beschimpft. Er schlägt auch Julie, die er liebt.
Man darf dem nicht auf den Leim gehen, was andere über Liliom sagen. Das Zuschlagen ist ein sehr grelles Signal. Im Stück ist es übrigens nie zu sehen. Er schlägt nur aus großer Hilflosigkeit. Er steht quer im Leben, in einem großen Konflikt. Er kann nicht ändern, was er vorfindet, aber er weiß nicht Besseres. Er kann nicht aus seiner Haut.
Polgars Übersetzung lebt vom Wiener Umgangston.
Unsere Fassung ist Hochdeutsch. Bei Horváth ist der Kunstdialekt wichtig: Da haben die Figuren fertige, holzschnittartige Sätze zur Verfügung. Bei Molnár reden sie mit eigenen Worten. Ich finde schön, dass es um alles geht: Wofür lohnt es sich zu leben? Worin besteht Freiheit? Was hat das mit Liebe zu tun? Da leuchtet was auf, was uns allen begegnen kann. Sowas spiele ich sehr gern.
Sie sind mit Auszeichnungen überhäuft: Für „Judas“ und „Plattform“ wurden Sie von "Theater Heute" zum Schauspieler des Jahres 2013 gekürt, erhielten den AZ-Stern des Jahres 2013 und eben den renommierten Gertrud-Eysoldt-Ring. Sie müssen doch Angebote von allen Seiten bekommen. Wissen Sie schon, wie 2015 für Sie weitergeht, wenn Matthias Lilienthal Kammerspiele-Intendant wird?
Es sind gerade unglaublich aufregende Zeiten. Was Angebote angeht, kann ich mich nicht beschweren, aber es ist nicht so, dass man mir die Bude einrennt. Mit Matthias Lilienthal habe ich gesprochen, doch noch ist alles offen. Ich werde auf jeden Fall bis zum letzten Tag von Johan Simons‘ Amtszeit hierbleiben. Die Arbeit mit Simons ist für mich ein ganz dicker Pfeiler, wie auch die mit Stephan Kimmig. „Liliom“ ist unsere vierte gemeinsame Arbeit hier am Haus. Die Kammerspiele-Bühne ist ein wunderbarer Ort, das ist ein Zuhause.
Kammerspiele, Premiere 8. März 2014, Tel. 233 966 00