Interview mit Brigitte Hobmeier, Annette Paulmann und Wiebke Puls
Drei Zofen für ein Halleluja
Die Doppeldeutigkeit des französischen Titels „Les bonnes“ ist eine feine Perfidie des Autors Jean Genet. Im Deutschen heißt das Drei-Personenstück „Die Zofen“, aber „les bonnes“ bedeutet auch „die Guten“. Gut im Sinne der Moral sind die Dienstmädchen Claire und Solange kaum: Die Schwestern proben im Rollenspiel, ihre Herrin umzubringen. Genet wurde in seiner kriminellen Karriere nach eigener Aussage nur deshalb kein Mörder, weil er seine Morde in seinen Stücken verwirklichte. „Die Zofen“ wurden 1947 in Paris uraufgeführt, an den Münchner Kammerspielen waren sie 1958 und 1979 zu sehen. Nun inszeniert Stefan Pucher sie hier zum dritten Mal, mit Brigitte Hobmeier als Claire, Annette Paulmann als Solange und Wiebke Puls als gnädiger Frau.
Frau Hobmeier, Frau Paulmann, Frau Puls, wo sehen Sie die Schwerpunkte in diesem ständig wechselnden Machtspiel?
BRIGITTE HOBMEIER: Für mich geht es um Illusion, Verrat und Scheitern.
Bei Genet geht es aber auch um den Klassenkampf zweier Gesellschaftsschichten.
HOBMEIER: Das haben wir zu reduzieren versucht.
ANNETTE PAULMANN: Genet schrieb selbst, es sei in keinem Fall ein Dienstbotendrama.
HOBMEIER: Claire spielt die gnädige Frau, Solange spielt Claire. Das ist ein ständiges Wechselspiel von Macht, Stärke und Schwäche. Wo einer Liebe will, schlägt der andere zu. Und die gnädige Frau ist für beide als Illusion unerreichbar. Für Genet war das Theater die perfekte Form der Lüge. Wir als Schauspieler sind der Grundstock einer doppelbödigen Illusion: Ich spiele eine Zofe, die ihre Herrin spielt. Wenn meine Kollegin dann als gnädige Frau auftritt, ist sie keineswegs das Monster, das Claire zeichnet, um Solange zum Mord zu reizen.
Das Machtverhältnis unter den Schwestern verschiebt sich ständig. Zunächst scheint Claire zu dominieren.
PAULMANN: Meine Figur zieht aus der Erniedrigung die Kraft, zurückzuschlagen. Sie wird nicht nur individuell als Solange erniedrigt, sondern auch als Claire.
Können die beiden nur in dieser Symbiose funktionieren?
PAULMANN: Ja. Daraus erwächst dieser große Freiheitsgedanke: Wir werden schön und fröhlich, befreit von der gnädigen Frau sein - und voneinander.
Sieht sich die gnädige Frau in diesem Spiel gespiegelt?
WIEBKE PULS: Die gnädige Frau weiß nichts von diesem Ränkespiel. Sie ist zwar dekadent bis in die Haar- und Fingerspitzen, aber nicht der blanke Horror wie in der weiterentwickelten Fantasie der Zofen. Für alle drei gilt: Sie spielen. Wozu brauchen sie das Spiel? Claire und Solange entwickeln daraus Kraft als elementare Lebensrettung. Das ist auch die Essenz des Schauspiels: Es bereichert unser Leben lustvoll und setzt Energie frei. Die gnädige Frau ist nicht aus existenzieller Not, sondern aus der Ödnis der Üppigkeit heraus auf das Spiel angewiesen. Das wiederum befeuert die Lust der Zofen, jemand anderes zu sein. Da werden aus verschiedenen Winkeln Sehnsüchte auf die Zukunft projiziert: Für alle drei ist es eine grandiose Vision, ins Straflager nach Guyana zu kriechen.
HOBMEIER: Aber wenn es nur das wäre, bliebe das Spiel ein Perpetuum mobile. Die Zofen gehen mit ihrer tatsächlichen Intrige einen Schritt weiter. Das Gefängnis – ein Hauptmotiv Genets – kommt ins Spiel. Auf einmal bedroht die selbstgeschaffene Realität ihre Illusion.
PULS: Die beiden sind schon zu lang ineinander verbissen, sie brauchen Erlösung. Es gibt ja nicht wenige Beziehungen in diesem Würgegriff, wo sich zwei Menschen nicht mehr ertragen, aber auch nicht lassen können.
HOBMEIER: Das Spiel der Schwestern ist ein Kampf auf Leben und Tod, in dem sie auch Angst umeinander haben.
PAULMANN: Eine reizvolle Komplikation besteht darin, dass die Spielregeln während des Spiels wechseln. Zudem untergraben sich die Zofen nicht nur, die gnädige Frau zitierend, in ihrer dienstlichen Würde, sondern greifen sich auch in ihrer Intimsphäre an, die sie ja gezwungenermaßen teilen.
PULS: Da wird die Spielebene durchbrochen. Es setzt Tiefschläge, wo immer man seinen Nächsten erwischen kann. Wo sich Privates und Spiel verbinden, oszillieren die Ebenen.
PAULMANN: Auch zwischen uns Schauspielerinnen. Dieses Stück zielt immer auch auf die Realität der Darsteller ab.
PULS: Genet wollte ja, dass junge Männer alle drei Rollen spielen. Das wäre dann das Durchstoßen aller denkbaren Schichten des Stoffes mit einer Nadel.
Die gnädige Frau entkommt dem Giftanschlag der Zofen. Aber das Ritual des Mordes muss vollzogen werden: Claire zwingt Solange, ihr den vergifteten Tee zu geben.
HOBMEIER: Die eine stirbt, damit die andere leben kann. Genet sagt: Ich will den Mord besingen, weil ich die Mörder liebe.
In Pucher-Inszenierungen gibt es immer Videos – was ist hier zu sehen?
HOBMEIER: Unter anderem Szenen aus Genets Kurzfilm „Un chant d‘amour“ und Fassbinders „Querelle“-Film.
PULS: Die sind spannend verfremdet: zum Beispiel stehen die Bilder Kopf, die Männer darauf hängen in der Szene wie Schlingpflanzen in ein Aquarium und verströmen Testosteron. So ist auch die abwesende Männlichkeit schattenhaft anwesend.
HOBMEIER: Mich fasziniert diese Gender-Grauzone …das Männliche …unsere Weiberkörper …
PAULMANN: …Angezogen wie Püppchen, aus dem Ei gepellt…
PULS: …Zuckerpüppchen, die sich mit aufgekrempelten Ärmeln schwülen Zuchthausphantasien hingeben…
HOBMEIER: Wir haben uns der Suche nach der Radikalisierung der Illusion nicht verweigert.
Kammerspiele, 18. Mai 2014, 19.30 Uhr, Telefon 233 966 00