Interview mit Ivy Amista - neue Erste Solistin des Bayerischen Staatsballets

Was passiert, wenn beim Solo plötzlich die Musik aussetzt

von Isabel Winklbauer

Ivy Amista (31) vor dem Probenhaus am Platzl. Foto: I. Winklbauer

Ivy Amista verließ 2001 ihre Heimat Sao Paulo, um an der Münchner Ballettakademie ihren Abschluss zu machen. Ballettdirektor Ivan Liska übernahm sie sofort ans Bayerische Staatsballett – und ernannte sie jetzt, 13 Jahre später, zur Ersten Solistin. Kulturvollzug sprach mit ihr über ihre Traumkarriere – in der vielleicht doch noch eine unerwünschte Wende ansteht.

 

Sie sind seit 13 Jahren am Bayerischen Staatsballett. Wie kommt das? Die meisten Tänzerleben sind stärker von Wandel und Unsicherheit geprägt.

Ivy Amista: Ja, das ist ungewöhnlich. All die Jahre waren ja auch unter derselben Direktion. Ich liebe das breite Repertoire des Staatsballetts, vor allem die Klassiker, da liegen meine Stärken. Deshalb hat es mich nie fortgezogen. Andererseits bekam ich in regelmäßigen Abständen auch größere Aufgaben. Nach den ersten drei Jahren wurde ich Demi-Solistin, wieder drei Jahre später mit Kitri in „Don Quichote“ Solistin, jetzt Titania im „Sommernachtstraum“... Ich hatte einfach großes Glück und bin sehr zufrieden.

In Balanchines Brahms-Schönberg-Quartett. Foto: W. Hösl

Sie haben mit 17 einen Wettbewerb in Ihrer Heimat Brasilien gewonnen. Damals gab es auch noch andere Angebote für Abschlussstipendien. Warum haben Sie sich für München entschieden?

Ja, Wien, Mannheim und London waren auch noch im Angebot. London wäre aber nicht das Royal Ballet gewesen, sondern eine teure Privatschule. In Wien und Mannheim hätte ich die Ausbildung bekommen, hätte aber für meinen Lebensunterhalt selbst aufkommen müssen. Das war einfach zu teuer für meine Familie, also fuhr ich erst mal nirgendwo hin. Ich wollte sowieso erst die Schule abschließen.

Und dann kam Konstanze Vernon, die damals Leiterin der Ballettakademie war?

Nicht ganz. Eine Freundin von ihr sah mich und empfahl mich ein Jahr später als Stipendiatin. Sie erzählte mir vom Wohnheim der Heinz-Bosl-Stiftung. Das war ideal, also ging ich. Es war spannend, Konstanze Vernon das erste Mal gegenüber zu treten. Sie kannte mich ja gar nicht.

Der Abschied von Zuhause war doch sicher nicht einfach, oder?

Im Gegenteil, mit 17 war das gar kein Problem. Ich war neugierig und wollte das tun, was ich liebe. Meine Mutter war zwar traurig, aber sie hat mich voll und ganz unterstützt. Sie gab mir das Gefühl, dass ich jederzeit zurückkommen könnte.

Gar kein Heimweh?

2005 nach der Ernennung zur Demi-Solistin. Foto: I. Winklbauer

Schwer wurde es erst nach ein paar Monaten. Für Brasilianer ist es schwierig, ohne die Unterstützung der Familie zu leben. Die Kinder bleiben im Elternhaus, bis sie das Studium abschließen oder sogar bis sie verheiratet sind. Weil die Situation im Wohnheim neu war und weil ich noch nie allein gewohnt hatte, hat es ein bisschen Zeit gedauert, mich an meinen neuen Lebensstil zu gewöhnen.

Wussten Sie von Anfang an, dass Ihr Weg nach oben geht?

Nach oben zu kommen war immer mein Wunsch und ich habe dafür  fleißig gearbeitet. Jahrelang auf der Stelle zu stehen, wäre für mich nicht in Frage gekommen. Deshalb bin ich glücklich, dass es wirklich so gekommen ist. Aber man sollte nicht vergessen, dass auch ein Quentchen Glück immer eine Rolle spielt.

Konstanze Vernon ließ Sie 2001 Teile von „Paquita“ einstudieren. Nun entsteht am Staatsballett gerade eine aufwändige Neufassung des Stücks ...

Es wäre natürlich großartig, „Paquita“ noch einmal im Ganzen zu tanzen! Die Solorollen sind aber noch nicht besetzt, das beginnt erst im September. Ich bin vor allem neugierig, wie das Stück an sich aussehen wird. Alexei Ratmansky rekonstruiert mit dem Harvard-Choreologen Doug Fullington die Urfassung, angepasst an moderne Ansprüche.

Mit Karen Azatyan als Kitri in "Don Quichote". Foto: W. Hösl

Was war bisher Ihre stärkste Performance?

Kitri in „Don Quichote“ ist mir sehr leicht gefallen. Wahrscheinlich wegen des Temperaments der Rolle und des spanischen Charakters des Stücks. Auch Nikiya in „La Bayadere“ war aufregend. Ich weiß nicht, warum Ivan Liska mich aus dem Corps heraus geholt und mir genau diese Rolle gegeben hat, aber es war etwas ganz Tolles, zum ersten Mal mit Alen Bottaini zu tanzen, einem der Großen der Kompanie.

Und was waren weniger erfreuliche Situationen?

Es war traurig, dass ich in der „Kameliendame“ nur zwei Vorstellungen lang die Manon Lescaut tanzen durfte. Die meisten Rollen muss man sich schon über mehr Vorstellungen erarbeiten. Auch die Julia habe ich nicht so oft getanzt. Dabei muss man sich gerade mit dieser Rolle lange befassen.

Können Sie sich an eine total verrückte Vorstellung erinnern?

Einmal, im dritten Akt von Dornröschen, tanzte ich meine Aurora-Variation. Plötzlich hörte mittendrin die Musik auf zu spielen, einfach so. Ich tanzte in Stille weiter und betete, dass das Orchester meine Schritte verfolgt und richtig wieder einsetzt. Die Musiker schafften es! Später erfuhr ich, dass die Solo-Violine, die an dieser Stelle hätte spielen sollen, einfach vergessen wurde.

Sie hatten auch Verletzungskrisen, das Schlimmste für einen Tänzer.

Oh ja. 2008 hatte ich so viele Stressfrakturen, dass ich operiert werden musste. Da konnte ich lange nicht tanzen. Später habe ich mir dann noch bei den Proben zu „Don Quichote“ einen Bänderriss am Knie zugezogen. Schlimm, dieses Nichtstun! Aber ich habe geschafft, meine Motivation zu halten, indem ich so viel Nützliches wie möglich getan habe. Endlich habe ich während der Auszeit mal systematischer Deutsch gelernt und die Prüfungen für den deutschen Pass abgelegt. Die Unterstützung zu Hause war auch wichtig. Mein Mann hat mich sehr aufgebaut.

Die Lady in Black zeigt Statur. (Foto: I. Winklbauer)

Gerade wollte ich fragen, wann Sie es Roberta Fernandes gleich tun und heiraten. Herzlichen Glückwunsch!

Danke. Marcos Mariz und ich haben im März geheiratet. Er war früher auch Tänzer am Gärtnerplatztheater, aber er hat aufgehört, um Theaterwissenschaft zu studieren.

Nach 15 Jahren am Staatsballett gibt es eine Anstellung auf Lebenszeit. Wollen Sie für immer in München bleiben?

Das ist eine schwierige Frage. Ich will sehr gerne hier bleiben. Nur, übernächste Spielzeit wechselt der Ballettdirektor. Und das könnte bedeuten, dass ich im allerletzten Moment doch noch gehen muss.

Haben Sie heute mehr Heimweh als mit 17?

Nein. Eine Rückkehr nach Brasilien kommt nicht in Frage. Ich bleibe auf jeden Fall in Europa. Am besten in Deutschland.

Ivy Amista ist am 30.5. 2015 im dreiteiligen Abend „Les Ballets Russes“ zu sehen (Nationaltheater, 19.30 Uhr). Sie tanzt die Dame in Blau in „Les Biches“. Außerdem ist sie am 14.6. und in den folgenden Vorstellungen in „Le Sacre du Printemps“ dabei.

Veröffentlicht am: 27.05.2014

Über den Autor

Isabel Winklbauer

Redakteurin

Isabel Winklbauer ist seit 2011 Mitarbeiterin des Kulturvollzug.

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