So war das Klangfest 2014 im Gasteig

Halluzinationen von einem Babbel beim Wildern

von Michael Wüst

Bei Rundfank gab's Stubensoul. Foto: Michael Wüst

Greatest Hitz beim Klangfest im Gasteig! Heuer spielte nämlich sogar das Wetter mit. Neben 32 Bands auf vier Bühnen in drei gut klimatisierten Sälen und auf einer Open Air Stage, die wie ein riesiges Ei in der prallen Sonne brütete. Die ersten Gruppen gab man sich dort zunächst eher aus dem Schatten der etwas entfernteren Sonnenschirme, das kreislaufstützende Getränk in sicherer Nähe. Später, mit Einsetzen der Dämmerung wurde draußen dafür umso ausgelassener gefeiert. Das Riesenei der Open Air Bühne glühte und pulsierte weithin sichtbar. Das Publikum schien heuer deutlich verjüngt, insgesamt sollten die Besucherzahlen der letzten Jahre erreicht worden sein, wenn nicht gar übertroffen.

Im fünften Jahr präsentiert sich die Musikwirtschaft Münchens und des Umlands mittels des VUT Süd (Projektleitung Petra Deka) in Kooperation mit dem Kulturreferat und der neuen BR-Klassik Redaktion U21. Und diesmal war auch eine gewisse thematische Gewichtsverlagerung zu bemerken. Lag während der letzten Jahre immer ein deutlicher Jazz-Schwerpunkt im Carl Orff-Saal, so hatte sich heuer die Programmatik eher zu Gunsten neu-volkstämmiger Mundartpflege verschoben.

Mal augenzwinkernd selbstironisch, mal betont mit jeder Menge Einfalt gepinselt. So war Gründervater „Zither Manä“, Veteran aus den Zeiten des „Rockhouse“ von BR-Moderator Georg Kostya neben dem jungen Rebellen, dem „Weiherer“ zu erleben. Generationen von Berufsrebellen reichten sich da also die Hände. Rebellen und Taxifahrer – mit BR Klassik sind sie dabei. Neben solch traditionell kerniger Vollkunst überraschten im kleinen Konzertsaal aber auch sehr eigenwillige Singer/Songwriter-Ladies, ganz und gar nicht „tümelnd“. Und eine kleine Jazz-Sensation ereignete sich dann doch im Carl Orff-Saal.

Charly Bravo sind Helden der Nacht. Foto Michael Wüst

Die Open-air-Bühne kochte und blubberte hauptsächlich rockig dahin und in der Black Box dominierten indiemäßige „Shoe Gazer“ und Neo-Folkloristen. Soweit war das also alles doch recht ausgewogen!

Einen leichten Sommer-Aperitif servierten anfangs „Die Drei Damen“. Im kleinen Konzertsaal perlte mehrstimmig sommerlicher Bossa-Sprizz. Keine Frage, Jazzsängerin Lisa Wahlandt hat die Leichtigkeit des „Quatro-Nuevo“-Seins gepachtet. „Mal frech, mal fröhlich“, wie uns das Begleitheft bestätigt. Für das mediterrane Lebensgefühl sorgten an ihrer Seite Andrea Hermenau am Klavier und Christiane Öttl am Bass. Gestärkt und erfrischt überbrückte man das sich langsam aufheizende Foyer auf dem Weg zum Carl Orff-Saal. Dort spielte das Matthias Lindermayr Quartett ein Stück namens „Lang Tang“. Ein episches Intro impressionistischer Nah-Ost-Skalen der verstärkten Trompete erinnerte an Ibrahim Malouf, den levantinischen Miles Davies, driftete malerisch und bildhaft und spielte mit abfallenden Vierteltönen. Immer weit in den Raum hinausgreifend. Meditativ. Eine Art Traumtopographie.

Man schwebte zurück in den kleinen Konzertsaal: „Alpen Klezmer“ mit der Sängerin Andrea Pancur und dem Akkordeonisten und Pianisten Ilya Shneyveys holte den in wolkige Höhen Entschwundenen beherzt und herzhaft ins Leben zurück. Unprätentiös, charmant, anrührend. Bayerische Texte, Jiddische Lieder. Koschere Jodler, wie es im Heft heißt. Ilya Schneyweys webte Zwiefaches in feines Molltuch um. Und Andrea Pancur strahlte in einer unbeugsamen Heiterkeit. Kündete uns schmerzhaft von einer verlorenen Welt der Menschenfreundlichkeit. Ilya Schneyveys begleitete mit einem Lächeln in den Tönen, schnörkellos und am Klavier mit hymnischen Grace-Notes à la Keith Jarrett. Zuletzt spielten sie „Herbstlied“ der 2013 verstorbenen Byle Schaechter Gottesmann. „Was wartest noch immer aufs Frühjahr, der Herbst hat doch Steigen voller Gold!“ Ja, in kürzester Zeit hatten die beiden mit ihrer Liebenswürdigkeit und Ehrlichkeit den kleinen Konzertsaal reich beschenkt.

Also jetzt mal an die Luft. Da gab es jetzt auf der Open Air Stage „Stubensoul und Volksfunk“ von „Bairischer Rundfank“! Respekt, das ist aber jetzt schon die ganz volle Witzbreitseite! Der Turm von Babbel, sozusagen!

Null Stubenküken auf der Bühne! Foto: Michael Wüst

Treten da erste Halluzinationen ein? Der Babbel, freili, der hat auch bei Bayern gespielt! War das dieser Rebellensenior hinter mir, mit dem Gamsbart am Käppi? Nein es war einfach viel zu heiß! Das erste Pils musste eingenommen werden. Doch kaum stabilisiert, mussten wir schwindlig erkennen, dass wir jetzt unversehens den Gipfel des Babbel erreicht hatten! Auf der Bühne stand jetzt „Fuadadeimuada“. Oh Gott! Wurden hier etwa Traumata während des Zivildienstes in der Altenpflege verarbeitet? Oder würde man mit „Alten-Klezmer“ rechnen müssen?

Ist doch Wurst! Denn, im Ernst, mal ganz abgesehen von der ganzen Plan-Witzwirtschaft: Klangfest 2014, das waren wunderbare Momente. Mit Künstlern, die ganz ohne Etiketten durchs Leben laufen können und die sich nicht mit Logos zupappen lassen. Mit „Triska“ und Heidi Triska, die man auch von „Cat Sun Flower“ kennt, der souveränen Tenorsaxophonistin Stephanie Lottermoser und dem Tausendsassa Ecco die Lorenzo. Der hatte mal schnell den Sinatra-Tuxedo an den Nagel gehängt und mit „Anthony´s Garden“ mit Schirmkappe Ukulele und Jeans tollen New Folk gemacht.

Wunderbares Geflecht. Foto: Michael Wüst

Und dann gab es noch „Wildern“, von und mit Sänger Tobias Christl. Wo der Titel der Formation befürchten ließ, auch nach der Ankündigung der BR-Moderatorin, die von der Triebgesteuertheit der nun auf die Bühne folgenden Musiker sprach, dass nun wieder Regio-Kult zu erwarten sei, da wurde man nicht nur überrascht.

Man war, wofür es nur diese Worte gibt: Baff, hin und weg und zuletzt platt. Es beginnt mit einer Interpretation von Sounds of Silence von Simon und Garfunkel. Jetzt erklärte sich auch der Bandname. Man bedient sich also in der Popgeschichte, nimmt auseinander, setzt neu zusammen, figuriert und lässt neue Linien aus dem Material herauswachsen, die sich im Raum und den Köpfen wieder neu verweben. Tobias Christl tut dies mit in einer so feinen und achtsamen Weise, als sei er stets um das das Gedeihen seiner neuen fragilen Klangpflanzen besorgt. Tut dies mit bestechender Intonation. Seine weiche Stimme, sie umhegt förmlich. Und das ist schon notwendig, denn seine Musiker, Peter Ehwald (Tenorsaxophon), Sebastian Müller (Gitarre), Matthias Nowak (Kontrabass) und Etienne Nillesen (Schlagzeug) entwickeln ständig, keimen aus, transzendieren das Popthema. In all dieser Diversifikation, diesen Verschlingungen gelingt Tobias Christl mit zarter Gewalt der Zusammenhalt. Das war wirklich ein traumhafter Hit in der ganzen Hitz!

Veröffentlicht am: 10.06.2014

Über den Autor

Michael Wüst

Redakteur

Michael Wüst ist seit 2010 beim Kulturvollzug.

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