Ralf Westhoffs Gesellschaftskomödie "Wir sind die Neuen"

Im Häuserkampf

von Katrin Kaiser

Beim Einzug freuen sich Anne, Eddi und Johannes noch auf ihre neuen Nachbarn. Foto: X Verleih

Schrullige Großstädter beim Speed-Dating und ein sympathisches Pärchen um die dreißig, das seine Beziehung zu Tode analysiert – damit beschäftigte sich Ralf Westhoff in seinen höchst unterhaltsamen Spielfilmen „Shoppen“ und „Der letzte schöne Herbsttag“. Westhoff ist der Mann für vergnügliche Zeitgeistanalyse in der Karriere- und Single-Hauptstadt München. Sein neuer Film „Wir sind die Neuen“ schickt eine junggebliebene Alt-Achtundsechziger-WG in den Kampf gegen das Spießertum ihrer jungen Nachbarn.

Im Gang sind alle Schuhe fein säuberlich in weißen Schubfächern verstaut, nichts liegt ungeordnet herum. Der Besucher wird von den WG-Bewohnern Barbara, Katharina und Thorsten gebeten, seine Schuhe auszuziehen, und im Anschluss informiert, dass alle drei „keine Kapazitäten“ für nachbarschaftliche Kontakte frei hätten, da sie sich kurz vor dem juristischen Staatsexamen beziehungsweise der kunsthistorischen Bachelor-Prüfung befänden – in einer „hochsensiblen Zeit“ eben.

Und dabei hatten sich die junggebliebenen Senioren Anne, Johannes und Eddi so gefreut, dass auch junge Leute in dem Haus wohnen, in das sie gerade eingezogen sind! Die Studenten-WG, in der die drei vor 35 Jahren schon einmal zusammen gelebt haben, war ganz anders als die der jetzigen Nachbarn. Sie waren chaotisch, haben sich gegenseitig den Kühlschrank leergefressen und wollten die Welt verändern.

Die Sympathieträger sind in diesem Film von Anfang an diese drei Alten. Gisela Schneeberger spielt die Anne als blondgelocktes, eigensinniges altes Mädchen in bunten Turnschuhen, die im Laufe der Zeit vor allem gelernt hat, was sie alles nicht will. Jahrelang hat sie als Biologin für die Rettung der Schleiereule gekämpft und kaum Geld verdient. „Ich kann mir diese Scheißstadt nicht leisten“ - diese Erkenntnis führt schließlich zum WG-Revival mit dem idealistischen Anwalt und Yoga-Fan Johannes (Michael Wittenborn) und dem dickköpfigen Revoluzzer und ehemaligen Frauenschwarm Eddi (Heiner Lauterbach).

Keine Kapazitäten für Zwischenmenschliches: Karoline Schuch, Claudia Eisinger und Patrick Güldenberg als gestresste Studenten. Foto: X Verleih

Mit Rotwein, Rockmusik und hitzigen Diskussionen am Küchentisch zelebriert man das Zusammenleben, das den gestressten Jung-Juristen natürlich immer viel zu laut ist. Und so entspinnt sich zwischen den beiden WGs ein für den Zuschauer äußerst vergnüglicher Häuserkampf der Lebenseinstellungen.

Wenn Eddi mit seiner Jute-Tüte am Altglas-Container steht und diesen seelenruhig mit einem beachtlichen Sortiment an Flaschen befüllt, lässt er sich von der verspannten Kunsthistorikerin Barbara (Karoline Schuch) nicht irritieren. Ihren ungeduldigen Hinweis, dass sie selbst nur zwei Flachen habe, quittiert er lediglich mit einem lapidaren: „Sind die noch von Silvester?!“

Und wenn der bandscheibengeschädigte Staatsexamenskandidat Thorsten (Patrick Güldenberg) - mit schmerzverzehrtem Gesicht und von seiner Kommilitonin Katharina (Claudia Eisinger) gestützt - nach Hause humpelt, geht Johannes gerade extra gut gelaunt zum Joggen und Anne schleppt besonders schwungvoll schwere Pflanzenkübel durchs Treppenhaus.

Dass die Frontenbildung dabei nicht platt und polemisch und die Figuren nicht klischeehaft und stereotyp geraten, dafür sorgen Westhoffs sensible Regie und die tollen Darsteller. Zwar laufen die vielen kleinen Szenen im Treppenhaus, im Hof und in der WG-Küche meist auf eine Erkenntnis hinaus: Die Jugend ist heute zu einer Lebensphase geworden, in der man sich fortwährend beweisen muss und unter ständigem Leistungsdruck steht; und das führt wiederum dazu, dass nur die junggebliebenen Alten überhaupt noch Zeit finden, ab und zu mal über sich selbst und die Gesellschaft nachzudenken.

Hören nicht auf zu suchen: Heiner Lauterbach, Gisela Schneeberger und Michael Wittenborn als schwungvolle Alt-Achtundsechziger. Foto: X Verleih

Westhoff schafft es dabei jedoch, seine Alt-Achtundsechziger weder als intellektuelle Heilsbringer zu idealisieren noch als frustrierte Fortschrittsfeinde zu verdammen; er inszeniert sie vor allem als sensible Menschen, die immer noch auf der Suche nach dem richtigen Lebensweg sind. „Wir sind die Neuen“ ist am Ende auch ein Film darüber, dass das Suchen und Zweifeln bei manchen Menschen einfach nie aufhört, und dass das auch ganz gut so ist.

Komödie, Deutschland 2014, 91 Minuten. Regie: Ralf Westhoff, Darsteller: Gisela Schneeberger, Heiner Lauterbach, Michael Wittenborn, Claudia Eisinger, Karoline Schuch, Patrick Güldenberg. X Verleih, FSK: 0

 

Veröffentlicht am: 17.07.2014

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