"The Good Cause: Architecture of Peace - Divided Cities" im Architekturmuseum der TUM
Im besten Sinne unfertig
Mit der vor wenigen Tagen eröffneten Ausstellung „The Good Cause: Architecture of Peace – Divided Cities” setzt das Architekturmuseum der TU München seine Auseinandersetzung mit der politischen und gesellschaftlichen Bedeutung von Architektur fort.
Die Kuratoren Lilet Breddels, Arjen Oosertman und Kai Vöckler von der Architekturplattform Archis möchten die Ausstellung als Forschungsprojekt verstanden wissen, das den Beitrag der Architektur zu Friedens- und Wiederaufbaumissionen nicht nur darstellt, sondern auch einfordert. Architekten und Raumplaner, so die Kuratoren, können über den bloßen Wiederaufbau zerstörter Gebäude und Infrastruktur hinaus zur langfristigen Friedenssicherung beitragen. Allerdings stellen sie zugleich klar, dass eben dieser Beitrag in Post-Konflikt-Phasen häufig erst spät einsetzt und meist in bescheidenem Rahmen bleiben.
Der erste Teil der Ausstellung, „Architecture of Peace“, beginnt mit zwei Weltkarten: Die eine zeigt Kriegs- und Konfliktzonen der Erde, die andere bildet Regionen ab, in denen seit 1945 UN-Friedensmissionen stattfanden. Auf beiden Karten machen die markierten Zonen einen erheblichen Anteil aus - und dadurch bewusst, dass die acht in der Ausstellung vorgestellten Beispiele für „Friedensarchitektur“ acht winzige Punkte auf einem von Konflikt- und Postkonfliktzonen überzogenen Planeten darstellen.
Einer dieser Punkte ist das Besucherzentrum Pamir-i-Buzurg in Afghanistan. Inmitten der rauen Landschaft des Wakhan-Korridors im Nordosten des Landes steht es seit 2008 am Eingang zu einem Wildreservat. Im Auftrag der afghanischen Behörde für Forst und Naturgebiete vom vom niederländischen Architekten Anne Feenstra entworfen, wurde es von 104 ungelernten Arbeitern errichtet. Das schlichte Haus aus Steinen, Holz und Lehm von den umliegenden Bergen und Flussufern dient als Empfangshaus für Besucher, als Quartier für die Parkranger und als Versammlungsort für die lokale Bevölkerung.
Ein anderer Punkt auf der Post-Konflikt-Weltkarte ist das Red Location Museum in New Brighton, einem Township im südafrikanischen Port Elizabeth. Mit seinen rostigen Wellblechfassaden passt es sich den umliegenden Wellblechhütten des Townships an und auch fällt zwischen den Wohnbauten durch seine Größe auf, aber nicht durch ausschweifendes Design. Das Museum erinnert an die Apartheid und den Befreiungskampf der „nicht-weißen“ Bevölkerung in Südafrika. Dass diese Erinnerung disparat und nicht ohne Widersprüche ist, spiegelt sich in der Museumsarchitektur: Der Ausstellungsraum beinhaltet zwölf „Erinnerungsschachteln“, jede sechs mal sechs Meter groß und zwölf Meter hoch. In diesen Schachteln werden in sich geschlossene Geschichten des Befreiungskampfes erzählt, die durch ihr gemeinsames Thema verbunden sind, aber nicht systematisch aufeinander bezogen. So wie es Lücken und Leerstellen in den Erinnerungen verschiedener Menschen und Gruppen gibt, so gibt es zwischen den Schachteln leere Flächen. Sie können der Abgrenzung vom Anderen ebenso dienen wie der Distanzierung vom Eigenen.
Das Münchner Architekturmuseum präsentiert die einzelnen Bauwerke mit wohldosiertem Film- und Bildmaterial. Die meisten Informationen müssen sich Besucher jedoch mit Hilfe der umfangreichen Begleittexte erlesen oder per Audioguide erzählen lassen. Sie erfahren dann unter anderem, welche „Erfolgsbedingungen“ für jedes der Projekte erfüllt sind. Auf einer Liste von acht Kriterien, die den Kuratoren zufolge entscheidend für das Gelingen von „Friedensarchitektur“ sind, werden jeweils die erfüllten Kriterien abgehakt. Das Besucherzentrum im afghanischen Pamir-i-Buzurg bekommt beispielsweise sechs von acht Häkchen: Die involvierten Personen – lokale Bevölkerung, Architekten, Vertreter von Hilfsorganisationen oder Militär vertrauen einander (1) und das Projekt nimmt Rücksicht auf die Ansichten der lokalen Zivilgesellschaft (2). Lokale Bewohner erhalten durch das Bauprojekt Arbeitsplätze (3) und die Kooperation fördert die Identifikation der Menschen mit dem Projekt (4). Man hat dem Projekt die Zeit gelassen, die es braucht, bis es die angestrebte Integrationsfunktion zu erfüllen beginnt (5) und es kann auch dann fortgeführt werden, wenn die Initiatoren den Standort verlassen (6).
Bedingungen wie Vertrauen, Identifikation, Sicherheit oder Kontinuität sind nicht spezifisch für Architektur, sie müssen für alle möglichen sozialen Projekte erfüllt sein. Dennoch ist nachvollziehbar, dass der Erfolg von Friedensarchitektur, die das gemeinschaftliche Leben in Konfliktregionen unterstützen soll, auch an ihnen bemessen wird. Allerdings handelt es sich bei den acht Projekten in der Ausstellung um so unterschiedliche Dinge wie das Besucherzentrum im Wildreservat und das Museum zur Apartheidgeschichte, um einen historischen Palastgarten oder eine Skateboardschule in Kabul… Darum wäre es wichtig, die acht Erfolgsbedingungen projektspezifisch zu erläutern. Die lokalen Auffassungen, auf die Architekten in Afghanistan stoßen, mögen andere sein als die der Bewohner von Red Location. Arbeitsplätze für die lokale Bevölkerung zu schaffen, mag bei einer Schule schwieriger sein als bei einer Gartenanlage. Vor allem aber ist zu vermuten, dass es bei jedem Projekt andere Hürden und Widerstände zu überwinden galt, zumal bei „Versöhnungsprojekten“, bei denen vormals verfeindete Gruppen nun zusammenarbeiten. Darüber geben die Bilder der fertigen Projekte wenig Aufschluss.
Noch drängender stellt sich die Frage, warum manche Erfolgsbedingungen bei diesem oder jenem Projekt nicht „abgehakt“ werden konnten. Warum zum Beispiel fehlen auf der Checkliste des Besucherzentrums im Wakhan-Wildreservat die Häkchen für „Öffentlichkeit“ und Sicherheit“? Inwiefern ist es bei diesem Projekt nicht gelungen, das „Gemeindeleben [zu] fördern“ oder für die „Sicherheit von Einzelpersonen und Gemeinschaft“ zu sorgen, wie das Begleitheft diese Bedingungen erläutert? Welche Schwierigkeiten gibt es beim Red Location Museum, sodass weder Kontinuität noch Zeit oder Sicherheit erfüllt sind? Da die Ausstellung ein kritisch-analytisches Forschungsprojekt sein will und kein Roter Teppich der Friedensarchitektur, vermisst man neben den zweifellos erhellenden und erfreulichen Erfolgsgeschichten eine kritische Analyse des Scheiterns. Warum misslingen so viele Wiederaufbau- und Versöhnungsmaßnahmen? Was lässt sich aus den zerstörerischen Auswirkungen, die Architektur in Post-Konflikt-Gebieten durchaus auch haben kann, für Friedensmissionen lernen?
Der zweite Teil der Ausstellung, „Divided Cities“ wurde von Kai Vöckler kuratiert und gibt Einblicke in die komplizierten räumlichen Verhältnisse geteilter Städte in Europa: Belfast, Nicosia, Mostar und Mitrovica. In allen Fällen geht die Teilung auf ethno-nationale Konflikte zurück. In Belfast etwa markiert eine Vielzahl von Mauern die katholischen beziehungsweise protestantischen Viertel und Straßenzüge; in Mitrovica bildet der Fluss Ibar eine Grenze zwischen albanischem und serbischem Teil der Stadt.
Nicosia ist die einzige noch immer geteilte Hauptstadt Europas. Seit der Intervention der türkischen Armee 1974 ist der vorwiegend von Türken bewohnte Norden vom mehrheitlich griechischen Süden der Insel getrennt. Seit 2003 die Grenze an einigen Punkten geöffnet wurden, ist ein Austausch zwischen den beiden Bevölkerungsgruppen ermöglicht. Seit 2011 befindet sich mitten in der UN-Pufferzone zwischen Norden und Süden das „House for Cooperation H4C“. Im Sommer 1974 wurde das Haus bei Kämpfen halb zerstört. 2005 entschloss sich die Nichtregierungsorganisation „Association of Historical Dialogue and Research“ (AHDR), das Gebäude zu sanieren und ein Bildungszentrum für Bewohner der gesamten Insel einzurichten. Heute werden im H4C Kurse und Tagungen veranstaltet, um historisches und interkulturelles Verständnis vor allem an junge Zyprer und an pädagogisches Personal zu vermitteln. Unter diesem Aspekt ist es nicht nur eine Frage der Zweckmäßigkeit, dass das Haus sowohl von der türkischen als auch von der griechischen Seite her zugänglich ist, ohne dass Kontrollpunkte überquert werden müssen.
Das H4C steht exemplarisch für gemeinsamen Raum, „Shared Space“ – eine von vier Strategien, mit denen Stadtplanung auf die Teilung von Städten reagieren kann. Daneben werden drei weitere Strategien benannt, „Shared history“, „Planning across the Divide“ und „Create a third space“. Letztere realisiert beispielsweise eine Künstlergruppe in Mostar, die bei einem Stadtrundgang Geschichten zu Gebäuden erfindet und damit an ihrer vermeintlich feststehenden politischen oder kulturellen Bedeutung rüttelt.
Die vier benannten Strategien zielen auf Kooperation, Vereinigung, Versöhnung und das ist ein sympathischer idealistischer Zug. Die Bilder und Stadtpläne der geteilten Städte mit ihren Mauern und Straßenbarrikaden lassen allerdings die Frage aufkommen, ob nicht mitunter eine fünfte Strategie angebracht sein könnte, nämlich die „einvernehmliche Trennung“. Unter den „Divided Cities“ findet sich kein Beispiel für eine gelungene Trennung – möglicherweise hat sich diese Strategie in der Praxis tatsächlich nirgends auf Dauer bewährt. Die übergeordnete Frage, die damit gleichwohl unbeantwortet bliebe, ist jedoch die nach dem „guten Zweck“ von Friedensarchitektur. Was genau ist eigentlich dieser gute Zweck, dem all diese Projekte dienen sollen? Einerseits scheint auf der Hand zu liegen, dass Friedensarchitektur der Herstellung und Erhaltung von Frieden dienen soll, andererseits bedeutet „Frieden“ vielleicht etwas anderes, je nach dem welcher Krieg ihm vorausgegangen ist. Wer definiert den guten Zweck, dem Architektur in Wiederaufbaumaßnahmen dient?
Dass Besucher mit Fragen wie dieser nach Hause gehen, spricht nicht gegen das Konzept: Diese Ausstellung präsentiert Architektur aus einem politischen und philosophischen Blickwinkel, der in den letzten Jahren häufiger geworden ist, sich gegenüber dem sonstigen Rang-und-Namen-Diskurs aber immer noch bescheiden ausnimmt. Auch für Architekten und Architektinnen hierzulande gehört das Bauen in Konflikt- und Post-Konfliktzonen nicht unbedingt zum Alltagsgeschäft. Es ist also kein Wunder, dass die Ausstellung bei aller Fülle an Informationen mehr Fragen aufwirft als sie beantwortet – „Architecture of Peace“ ist eben ein laufendes und daher im besten Sinne unfertiges Forschungsprojekt.
Die Ausstellung ist noch bis zum 17. Oktober 2014 im Architekturmuseum der TU München (in der Pinakothek der Moderne) zu sehen.