"Paradisi Gloria" in der Herz-Jesu-Kirche bei der Münchener Biennale
Rauhes Paradies
Im Mittelpunkt des vierten Konzert der Reihe „Paradisi Gloria“ im Rahmen der Münchener Biennale steht Johannes X. Schachtners Komposition „Pax – poéme théatral“. Sie wird an diesem Abend erstmals aufgeführt, umrahmt von Werken von Charles Ives, Galina Ustwolskaja und Claude Vivier. Schachtners Stück ist ein Auftragswerk der Landeshauptstadt München und wir hoffen, dass der vage und zugleich etwas prätentiöse Titel kein Omen für die Komposition darstellt.
Schachtners Stück beginnt mit stoßartigen Streichern und militärisch anmutenden Trommelklängen, unverkennbare Klangbilder des Krieges. Die Annäherung an einen Begriff wie „Frieden“ über sein Gegenteil ist natürlich ein legitimes und oft auch ein kluges Mittel, nur benutzt Schachtner hier die allereinfachsten und nächstliegenden Symbole. Es ist zu hören, was jedem als erstes einfallen würde, der seine musikalischen Assoziationen zum Begriff Krieg versammelt: Marschrhythmen, Perkussionsinstrumente, Fanfarenstöße, spannungsreiche disharmonische Streicher, klagende Violinen. Das alles ist in seiner Wirkung genau berechnet und gekonnt arrangiert. Aber es birgt nichts Unerwartetes – auch der laute einzelne Schlag, der die fragile Ruhe gegen Ende des Stückes noch einmal aufreißt, ist nicht mehr als ein Knalleffekt. „Der weiß genau, was er macht, aber er hat keine guten Ideen“, raunt ein Zuhörer anerkennend, aber gelangweilt in den wohlwollenden Applaus. Wir sind geneigt, ihm rechtzugeben. Die klanglichen Kontraste, durch die Schachtner Krieg und Frieden als „energetische Kraftfelder darstellt, die sich gegenseitig bedingen und zugleich ausschließen“ (über diese Auffassung aus dem Programmheft könnte man streiten), könnten ebensogut für andere unvereinbare Paare stehen: Tag und Nacht, Liebe und Hass, Schwarz und Weiß...
Beliebigkeit kann man der darauffolgenden kammermusikalisch besetzten Symphonie Nr. 5 von Galina Ustwolskaja wirklich nicht vorwerfen. Fünf Instrumente bilden das komplette Symphonieorchester: Violine, Oboe, Trompete, Tuba und Holzkubus. Wie bei Ustwolskajas anderen Symphonien steht auch hier das gesprochene Wort im Mittelpunkt, nämlich das Vaterunser, rezitiert von der Mezzosopranistin Anne-Carolyn Schlüter. „Der Solist soll sein Gebet inbrünstig an Gott richten“, bestimmt Ustwolskaja im Vorwort ihrer Partitur. Inbrünstig spricht Anne-Carolyn Schlüter durchaus, aber mit ihrer nachdrücklichen, energischen Interpretation vermeidet sie jede Andeutung von Rührseligkeit und religiösem Kitsch. So wird diese Symphonie tatsächlich zu einem eindringlichen Stück über den Frieden – nämlich jenem Frieden, nach dem jemand mit den Worten „Vaterunser! Vater! Vater!“ ruft, der zugleich befürchtet, dass ihm wieder niemand zuhört. Wenn Schlüter in die gespannte Stille der Herz-Jesu-Kirche ruft „Und führe uns nicht in Versuchung“, dann liegt in der Bitte zugleich etwas Bedrohliches. Das ist ein Kontrast zum Aufhorchen! Ustwolskaja verwendet ihre kompositorischen Mittel sparsam. Die wenigen melodischen Bausteine werden zwischen Trompete, Violine und Oboe virtuos verwoben. Über dem unnachgiebigen, repetitiven Dröhnen der Tuba entsteht keine bloße Illustration des Gebetstextes, sondern ein vollkommen sicherer Balanceakt zwischen Hingabe und Distanz. Das Vaterunser ist der Hilferuf einer Ausgesetzten und ihr Zufluchtsort zugleich.
Im Anschluss daran berührt die Rezitation von Rainer Malkowskis Gedicht „Das Licht“ etwas peinlich mitihrem Kirchentagspathos. Zum Glück folgt hierauf noch Claude Viviers „Wo bist du, Licht“ für Mezzosopran, Schlagzeug, Streichorchester sowie Tonbandeinspielungen. Auch Vivier beschränkt sich auf wenige musikalische Mittel und vertraut auf die Wirkung seiner Ideen. So kommen manche Akkorde nur indirekt zum Klingen, indem der gesamte Streicherapparat mit dem Bogen über die Saiten kratzt statt zu streichen. Aus dieser Atmosphäre der Uneindeutigkeit treten jedoch die gemeinsamen Töne letztendlich hervor und setzen sich gegen das Unsaubere, Unbestimmte durch. Dazu hören wir Anne-Carolyn Schlüter mit ihrer strengen, herben Interpretation von Hölderlins Text „Der blinde Sänger“. Sie bewahrt das Stück vor der übergefühligen Emphase, in die es leicht abgleiten könnte, und stellt uns einen wahrhaft einsamen Menschen vor: Wem soll er sein Leid auch klagen, da er niemanden sehen kann? So ergibt sich der Übergang von Hölderlins Dichtung in Claude Viviers lautmalerische Phantasiesprache ganz natürlich: „dai Ko Zè toi so vo yo mè la go oua ri nè you za gualè go di zè yo zè ka yesh to vi…“. Der ganz und gar auf sich selbst zurückgeworfene Mensch braucht keine Sprache, um zu kommunizieren, weil ihn ohnehin niemand hört. Auch im Sprechen ist er gleichsam blind: völlig autark in seiner Welt, aber auch völlig allein. Anne-Carolyn Schlüters Gesang bringt diese Verbindung von kindlicher Autarkie und ebenso kindlicher Verlorenheit auf ebenso klare und wie berührende Weise zum Ausdruck.
Ein Konzertmitschnitt ist am Sonntag, 1. Juni 2014, um 19.05 Uhr auf BR-Klassik zu hören.