Anna Konjetzky eröffnet das Rodeo-Festival

Rastlos durch eine rastlose Welt

von Isabel Winklbauer

Anna Konjetzky. Foto: privat

Wenn eine Stadt aus Würfeln, ein Boden, eine Wand und mittendrin eine Mädchengestalt alle dasselbe Muster tragen und im selben Licht leuchten – dann ist das unglaublich schön anzusehen. „Chipping“, das neue Stück der Münchner Choreografin in Residence Anna Konjetzky, fasziniert im Werkraum der Kammerspiele mit Projektionen auf einer Kubuslandschaft, in der ein Mensch außer Atem seinen Platz sucht. Im Wesentlichen blickt die Choreografie aber hinter die Fassaden des Systems 2.0: Die Dynamik und Ästhetik unserer schönen neuen Welt fusst auf dem völligen Auslaugen des Individuums.

Konjetzkys langjährige Muse Sahra Huby ist die ideale Besetzung für die Tour de Force. Leicht und biegsam, gleichzeitig sportlich und zäh, ist sie jederzeit bereit, sich mit der vom Würfelsystem geforderten Attitüde ins nächste Himmelfahrskommando zu stürzen. Anfangs steht sie schüchtern im senkrechten Scannerstrahl, zieht die Arme ein und versteckt sich. Doch schon bald durchmisst sie von dieser merkwürdigen Welt gefangen den Raum und steckt ihr Revier ab. Letztlich rennt sie mit geradezu irrer Begeisterung auf der Stelle und macht mit. Die Arme schlägt sie um sich, alle Glieder suchen wie im ständigen Suchlauf eine neue Frequenz. Hoch auf die Türme!

Eins mit dem Würfeluniversum: Die Mädchengestalt. Foto: Franz Kimmel

Als die Sisyphos-Schwester endlich wie erschlagen niedersinkt, hat sie ihr fragendes Madonnengesicht komplett verloren. Der moderne Mensch kämpft bis zur Auto-Gehirnwäsche. Nicht mal eine Pause ist der Mädchengestalt gegönnt. Dauernd verändert sich alles. Die Würfel bewegen sich unaufhörlich und unmerklich, schieben die Protagonistin auch im Schlaf dorthin, wo sie nicht im Weg ist. Das wirkt: Zu neuen Taten erwacht, ist ihr die Choreografie der Umgebung endlich eingetrichtert. Sie springt in roboterhaften Zuckungen, aber synchron, aufs Dach der Welt – wo der waagrechte Scanner ihr Gesicht nicht mehr erkennt.

Sahra Huby robbt noch im Schlaf durch die Gegend. Foto: Franz Kimmel

Wenn der Mensch sich nicht totrackern will, lässt ihm das System keine Ruhe und keine Wahl, so lange, bis er das Totrackern für die tollste Sache der Welt hält. Die Botschaft in „Chipping“ ist einfach. Eigentlich sogar banal. Spannend wird die Angelegenheit erst dadurch, dass der Zuschauer sie auf körperlicher Ebene vorgeführt bekommt. Rastlosigkeit, das bedeutet körperlichen Raubbau und die Unfähigkeit zu denken. Keinen festen Platz zu haben, ständig fort oder einer Sache hinterher zu hecheln oder über die eigenen Kräfte unsinnige Höhen erklettern zu wollen. Rastlosigkeit macht ein rotes, nervös zuckendes Gesicht und kostet den Schlaf. Sie ist lebensgefährlich.

Entsprechender Respekt gebührt Sahra Huby. Ein einstündiges Solo von so einem Kaliber macht man vermutlich nicht oft im Leben. Konjetzky hält mit „Chipping“ ihren eigenen Maßstab, doch ihre Protagonistin übertrifft sich diesmal selbst.

Veröffentlicht am: 09.10.2014

Über den Autor

Isabel Winklbauer

Redakteurin

Isabel Winklbauer ist seit 2011 Mitarbeiterin des Kulturvollzug.

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