Puccinis "Manon Lescaut" mit Jonas Kaufmann an der Oper

Überraschung - es ist so schlüssig wie unspektakulär!

von Volker Boser

Dean Power (Edmondo), Jonas Kaufmann (Il Cavaliere Renato des Grieux), Chor und Statisterie. Foto: Wilfried Hösl

An der Kasse konnte man seit langem hören, was ohnehin jeder echte Freak ahnte: Innerhalb von fünfzehn Minuten waren alle Vorstellungen von Puccinis „Manon Lescaut“ an der Bayerischen Staatsoper ausverkauft. Nicht etwa, weil Spät-Revoluzzer Hans Neuenfels inszenierte. Seit seinem Bayreuther „Lohengrin“ mit den legendären Laborratten muss man bei ihm schließlich immer auf allerlei Schnickschnack gefasst sein. Aber Anna Netrebko und Jonas Kaufmann – dieses Traumpaar wollte sich dann doch niemand entgehen lassen.

Warum die Liaison wenige Tage vor der Premiere mit der Absage der russischen Sopranistin ihr abruptes Ende fand, bleibt weiter offen. Opernchef Nikolaus Bachler führte künstlerische Meinungsverschiedenheiten ins Feld. Jonas Kaufmann dagegen könnte in einem Zeitungsinterview auf dem richtigen Weg gewesen sein: Zwischen der russischen Star-Sopranistin und dem Mann aus Krefeld  hat einfach die Chemie nicht gestimmt.

Das erscheint umso plausibler, weil diese erste Beschäftigung von Hans Neuenfels mit einer Oper von Puccini weder provokant, noch zynisch ausfällt, sondern sich in vielen Momenten reichlich konventionell gibt, auf jeden Fall aber immer cool bleibt. Für Atmosphäre ist ausschließlich die Musik zuständig. Unter dem französischen Dirigenten Alain Altinoglu hören wir Puccini so, wie wir ihn kennen: sentimental, gefühlvoll, gelegentlich aber auch zügig und - mit Ausnahme einiger matter Takte in den Madrigal-Szenen des zweiten Aktes - bemerkenswert pointiert: das Kontrastprogramm zu dem, was auf der Bühne zu sehen ist.

In kargen Schwarz-Weiß-Bildern erzählt Neuenfels die zeitlose Geschichte von einer Tochter aus gutem Hause, die sich nicht so recht zu entscheiden vermag zwischen großer Liebe und ebenso starker Lust zum Luxus. Anna Netrebko war offenbar der Auffassung, dass Manon nichts dabei findet, sich von einem alten Mann aushalten und gleichzeitig von einem jungen Lover verwöhnen zu lassen. Doch weil Hans Neuenfels womöglich darauf pochte, gerade diesen Widerspruch herausarbeiten zu wollen, durfte nun Kristine Opolais die Titelpartie singen. Sie hat das – zusammen mit Jonas Kaufmann – auch schon in Londons Covent Garden Opera getan.

Für die Dramatik der letzten beiden Akte fehlt der lettischen Sopranistin ein wenig die Durchschlagskraft. Die zarte Melancholie des Beginns, aber auch die Verzweiflung am Ende, gestaltet sie mit bewegender Eindringlichkeit. Jonas Kaufmann als Renato Des Grieux hatte – in der zweiten Vorstellung – bisweilen Probleme, der von seiner Partnerin und vom Dirigenten vorgegebenen Tristesse zu folgen. Sein prächtiges, baritonal gefärbtes Timbre ist für die Rolle nicht immer ideal. Ausdrucksschattierungen gab es kaum, als ob sich der Sänger stimmlich dagegen wehren wollte, dass er auf der Bühne einen schwächlichen Jammerlappen zu mimen hatte.

Ein wenig Show darf sein. Manons Tanzmeister (Ulrich Reß) tritt im Affenkostüm auf, eine Anspielung auf Henzes „Junger Lord“. Die Mitglieder des Staatsopernchores, in unförmige Kostüme gezwängt, zeigen riesige Hinterteile und rote Punk-Perücken, eine hässliche, anonyme Society ohne erkennbare Individualität. Die Botschaft ist klar: Nur wer liebt, hebt sich von der Masse ab. Die von Neuenfels verfassten Texte, zwischen den Akten auf einen schwarzen Vorhang projiziert, ergeben Sinn, müssen aber nicht sein.

Auch Dank präzise gezeichneter Nebenrollen – Markus Eiche (Lescaut), Roland Bracht (Geronte), Dean Power (Edmondo) –  ist an dieser neuen Münchner „Manon“ nichts auszusetzen. Dass sängerische Glanzleistungen nicht an jedem Abend gelingen, weiß jeder Opernfreund. Dass ein eher aufmüpfiger Regisseur wie Hans Neuenfels eine derart schlüssige, dabei vollkommen unspektakuläre Inszenierung abliefert, überrascht dann aber doch. Künstlerische Argumente für die Absage von Anna Netrebko lassen sich jedenfalls nicht nachvollziehen.

Alle weiteren Aufführungen im Nationaltheater sind ausverkauft.

Veröffentlicht am: 21.11.2014

Über den Autor

Volker Boser

Volker Boser ist seit 2010 Mitarbeiter des Kulturvollzug.

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