Interview mit Jonathan Nott, Chefdirigent der Bamberger Symphoniker, der Bayern verlässt

"Ist Deutschlands Orchesterlandschaft nicht Weltkulturerbe?"

von Jan Stöpel

Leidenschaft für den Klang: Jonathan Nott prägte die Bamberger Symphoniker. Foto: Thomas Müller

Er prägte das Symphonieorchester der kleinen Stadt Bamberg in den vergangenen 15 Jahren und führte es zur ganz großen Form, er verdiente sich Anerkennung nicht nur mit den Mahler-Einspielungen, die international als Referenz-Aufnahmen gelobt werden: Jonathan Nott (52), der Chefdirigent der Bamberger Symphoniker, Maestro des reisefreudigsten Orchesters Bayerns. Nächstes Jahr verlässt der Brite Bamberg in Richtung Genf. Und sprach mit uns über den richtigen Klang, eine besondere Stadt und darüber, was Konzerthallen über Politik verraten.

Nächstes Jahr verlassen Sie Bamberg. Sie sind dann Rekorddirigent, standen eine halbe Ewigkeit am Pult...

Jonathan Nott: Ja, manchmal fühlt sich das wirklich an wie eine sehr lange Zeit. Aber mal im Ernst: Ich bin sehr, sehr dankbar für das Orchester, für die Zeit, die wir noch immer zusammen verbringen, und das Herz und die Energie dieses Orchesters. Die Zeit in Bamberg ist ein riesengroßer Teil meines Lebens – und natürlich auch von vielen Leuten im Orchester, die auch schon dabei sind, seit ich in Bamberg bin. Ich kann nicht die Musik hören, ohne die Gesichter all dieser Musiker vor meinem innereren Auge zu haben. In dem Sinne sind wir ewig miteinander verbunden. Das ist eine besondere Sache. Es gab Zeiten, in denen man miteinander gekämpft hat, letztlich aber gab es viel mehr Momente der Symbiose. Das ist ein großes Geschenk. Ich habe mich als Musiker sehr gut entwickeln können in diesen fünfzehn Jahren.

Haben Sie schon an Ihr Abschiedskonzert gedacht?

Ja, es pendelt zwischen zwei, drei Programmen. Ich habe bei meinem ersten Treffen mit den Berliner Philharmonikern ein Programm gemacht, wo ich in der zweiten Hälfte Richard Strauss gespielt habe, und die erste Hälfte bestand aus drei Orchesterwerken von György Ligeti, und dazwischen gab es drei Gambenquartette von Henry Purcell. Das kam sehr gut an. Damit wäre auch viel über mich und mein Leben als Musiker gesagt. Es wird aber schwierig, das letzte Konzert zu bestimmen. Es kommt das letzte Abo-Konzert, dann gehen wir auf Tournee, dann zu Sommerfestivals... Wir werden sehen.

Kein Mahler?

Ich finde es sehr schön, dass wir jetzt auch mit Mahler im Programm eingeladen werden, nicht nur mit Brahms, wir spielen kurz vor Schluss noch die dritte und die siebte, auch die achte oder neunte Symphonie. Das hört ja gar nicht auf mit Mahler. Auf dieses Paket am Ende noch mal Mahler draufzulegen... Hm, ich glaube, wir überlassen das dann auch mal der Erinnerung.

Genf ist nicht so weit weg. Werden  Sie ab und zu mal zurückkommen?

Ich bin immer sehr froh, dass ich ständig Verträge hatte, die über vier Jahre liefen. Das hält einen auf irgendeine Weise, nun, vielleicht nicht jung, aber begierig, immer das beste aus sich rauszuholen. Eine Luftveränderung war für mich immer auch eine Gelegenheit, und aus den Gelegenheiten entstanden immer Entwicklungen. Das bestimmt das Leben eines Menschen. Aus diesem Grunde wäre es sowohl für mich als auch für das Orchester gut, wenn wir nach so einer langen Phase schauen könnten, wie man Sachen anders anpacken kann. Es ist doch auch irgendwie peinlich, wenn man nach so einer langen Zeit sofort zurückkommt. Nach dem dritten Jahr oder so kann ich vielleicht mal wieder kommen. Mein Nachfolger soll Zeit haben, mit dem Orchester sein eigenes Profil zu entwickeln, ohne dass ich mich da irgendwie einmische. Aber ich schätze diese Stadt natürlich sehr. Ich habe ja nicht nur zum Orchester eine Verbindung aufgebaut, sondern auch zu dem Publikum. Was wir alles erlebt haben... Deswegen bin ich auch sehr froh, dass wir eine Verbindung geschaffen haben, zwischen Bamberg, den Symphonikern und der Jungen Deutschen Philharmonie, die einmal im Jahr nach Bamberg kommt. Auf diese Art werde ich doch immer wieder in diese Stadt und zu diesem Publikum zurückkehren und „Hello“ sagen können. Aber das Orchester lasse ich eine Zeitlang in Ruhe.

Ihr Nachfolger muss sich auch erst seinen Platz schaffen.

So ist es. Deswegen wird Nott in der Zeit nicht am Pult der Bamberger Symphoniker auftauchen – alles andere wäre unfair. Ich wünsche mir, dass die Sachen, die wir gepflegt haben, dass jemand kommt, der das ausschöpft. Das Orchester hat einen unglaublich schönen Klang und eine sehr musikantische Art. Die beiden Sachen habe ich versucht zu pflegen. Ich strebte immer nach einem Orchester, das einen schönen Klang hat und ihn auch in die zeitgenössische Musik bringen kann. Es darf nie seelenlos und spröde klingen, es muss immer warm klingen und kraftvoll. Wir haben uns in verschiedensten Richtungen gut und erfolgreich präsentiert.

Können Sie mittlerweile für jede Epoche den richtigen Klang finden?

Der richtige Klang, das ist so eine Sache. Ich glaube, in den sechziger Jahren hat man noch nach einem Klang gestrebt und versucht, ihn auf alles mögliche anzuwenden. Dann kam die Gegenreaktion, indem man zum Beispiel sagte, in der frühen Musik darf’s kein Vibrato geben. Dann kam wieder ein anderer Ansatz: Über das Atmen der Phrase, über das Spiel mit der Zeit. Jedes Wort soll seinen eigenen Raum geben, eine Musik ergeben, die atmet, die fließt. Ich habe kürzlich eine Aufnahme von unserem Orchester aus den Siebziger Jahren gehört. Ein wenig steifer als wir heute, aber es klang sehr imponierend. So wie Haydn klingen soll. Bei Brahms und Bruckner darf der Klang plastisch sein. Aber: Jede Art von „Richtigkeit“ ist fragwürdig. Jedesmal wenn man sagt, nur so geht es, ist man in einer Sackgasse. Das ist ein pedantisches Element, das in der Musik nicht gut aufgehoben ist. Wenn man für sich selber ein Markenzeichen sucht, gut, aber es ist nicht richtig, wenn’s um die Musik geht. Es geht um die Erzählungskraft, um die Kantilene. Man muss den Verlust von Spannung unbedingt vermeiden. Ich bin sehr froh, dass dieses Orchester einen schönen Klang produzieren und außerdem sehr flexibel sein kann. Ich finde nicht, dass der Anfang des Taktes den Schluss programmiert. Ich würde mich sehr freuen, wenn jemand kommt, der dies auch schätzt.

Welchen Nachfolger stellen Sie sich vor?

Ich habe mich bewusst rausgehalten aus dieser Frage. Das ist eine echte Chance für das Orchester, sich mal wie in einem Spiegel zu betrachten und sich zu fragen, wer bin ich, was sind meine Qualitäten? Was sind unsere Merkmale? Je mehr das von vorne kommt, vom Dirigenten, desto weniger muss das Orchester Verantwortung übernehmen. Nach sechzehn Jahren hat das Orchester wieder die Chance, sich neu zu definieren. Da ist es das letzte, was ich sagen sollte, wie der neue Chefdirigent sein sollte. Ich freu' mich riesig für das Orchester, weil die in Topform sind. Ich werde traurig sein. Aber mit jedem Wechsel bestehen Chancen, dass man sich verbessert, dass man eine neue Perspektive gewinnt.

Und Vorlieben pflegen darf. Sie zum Beispiel schätzen Musiktheater...

Ja, auch, klar, ich habe fünfzehn Jahre lang überwiegend Oper und Chorwerke dirigiert, mit einigen symphonischen Werken dazwischen, und dann hat sich hier in Bamberg die Sache umgedreht. Ich werde irgendwann 650 Konzerte gegeben haben mit weiß Gott wie vielen Werken, und das nur in Bamberg. Aber wir haben in der Bamberger Zeit auch zehn konzertante Opernaufführungen gemacht. Ich fand das wichtig fürs Orchester, um die Fähigkeit zum Begleiten zu trainieren wie auch dazu, die Spannung zu halten. Ich bin ein großer Fan von konzertanten Aufführungen. Man lässt die Musik selbst sprechen. Die größte Kraft der Oper – das ist die Erzählkraft der Sänger.

Und man kann sich auf eine besondere Qualität der Bamberger konzentrieren: den transparenten Klang.

Das haben wir angestrebt. Ich habe immer gerne französische Musik gemocht, man strebt etwas an, in dem Moment, da man versucht, es zu greifen, verschwindet es, wie Parfüm. Das verlangt eine unglaubliche Plastizität des Klangs und Farbreichtum, einen schönen, tiefen, aussagekräftigen Klang. Das hat dieses Orchester.

Sie kommen aus einer katholischen, sinnenfrohen Stadt und müssen sich in Genf, der Stadt Calvins, bewähren. Erwarten Sie einen großen Unterschied?

Ich kenne Genf noch nicht wirklich. Aber das calvinistische Element bedeutete damals, als es noch um Religion ging, Freiheit und Offenheit. Diese Offenheit merkt man immer noch. Es ist nicht elitär, obwohl es sehr viel Geld gibt, mit dem Kunst unterstützt wird. Sehr ähnlich übrigens wie hier in Bamberg, wo man auch das Gefühl hat, Musik ist das täglich Brot und keine Sache, die einer Elite vorbehalten wäre. Es gibt Ähnlichkeiten. Ich habe dort schon gespürt, dass das Publikum eine Beziehung zu mir aufgebaut hat. Und es kommt ein neuer Saal, ein schöner, intimer Ort, an dem man guten Kontakt zwischen Orchester und Publikum herstellen kann. Hier in Bamberg, das ist freilich was besonderes. Das ist schon sehr rührend.

Eine neue Halle in Genf? In München macht man Flickwerk.

Und ich verstehe das nicht, wie man das so begründen kann: dass sich weniger und weniger Leute für klassische Musik interessieren. Wenn das so wäre, dann wäre das eine Katastrophe. Ist nicht die deutsche Theater- und Orchesterlandschaft immaterielles Weltkulturerbe? Ich komme in der Welt herum und ich bin wahnsinnig stolz darauf, wo ich herkomme. Ich betrachte mich mindestens als halben Deutschen. Und was es hier gibt, ist einmalig. Da ist das letzte, was man sagen sollte, dass es immer weniger Leute interessiert (lacht). Ich hab’ immer davon geträumt, dass das Konzerthaus vielleicht so wie das Fußballstadion wird: Dass es rot wird, wenn die Münchner Philharmoniker spielen, blau, wenn das Symphonieorchester des BR spielt, grün, wenn der und der spielt... Das wäre schön, dann hätte jeder sein Zuhause.

Veröffentlicht am: 25.02.2015

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