Martin Schläpfers Mahler-Choreographie „7“ bei der Ballettwoche
Wir sind gar nicht so freundlich
Es hat sich herumgesprochen: Martin Schläpfer war nicht nur ein charismatischer Tänzer, sei es in Basel bei Heinz Spoerli oder beim Royal Ballet in Winnipeg – mittlerweile ist er wohl auch Deutschlands bedeutendster Choreograph. Das eher verschlafene Mainz, wo er als Tanz-Chef wirkte, wurde zum Mekka der Fans. Seit 2009 leitet er das Ballett der Deutschen Oper am Rhein. Und auch dort hat er Glück. 2013 und 2014 wurden seine Tänzer als „Compagnie des Jahres“ ausgezeichnet. Münchens Ballett-Direktor Ivan Liska scheute sich dennoch nicht, diese Konkurrenz für zwei Aufführungen im Rahmen der Ballettwoche ins Nationaltheater einzuladen. Das spricht für ihn. Dass Schläpfer beim Bayerischen Staatsballett den Spagat zwischen Tradition und Moderne vielleicht ebenso hinbekäme wie der inzwischen gewählte Liska-Nachfolger Igor Zelensky, dafür lassen sich in seiner Mahler-Choreographie „7“ eine Menge Argumente finden.
Anders als John Neumeier, in dessen Mahler-Ausflügen das Pathos drastisch zelebriert wird, scheint die spröde e-Moll-Symphonie Schläpfer zu animieren, nur ja die vielen Trivialitäten in den Noten nicht unter den Teppich zu kehren. Zu Beginn kommen die Tänzer in schweren Stiefeln und langen Mänteln auf die Bühne, düster, ruhelos und ständig in Bewegung. Dann, mit dem Erwachen der Musik, klappernde Absätze und Spitzenschuhe: Es beginnt eine skurril-heitere Szenenfolge, die zwischenmenschliche Grauzonen ebenso auslotet wie parodiert. Die Akteure lassen ihre Fersen effektvoll auf den Boden knallen, stampfen durch den Raum, fügen ihre Körper geschmeidig zusammen, um sich wenige Momente danach erschreckt wieder zu trennen.
Ein riesiger Koffer voller Emotionen öffnet sich, am ehesten zu greifen in der „Nachtmusik“ des vierten Satzes. Hier bündeln sich Liebe, Hoffnung und Schmerz in wunderbar bewegender Ausdrucks-Vielfalt. Spätestens in diesen Momenten wird offenkundig, wie viel Anteil an der Eindringlichkeit dieser Choreographie auch die grandiosen Düsseldorfer Tänzer haben - ein Ensemble, gleichermaßen virtuos wie sensibel, im körperlichen Erscheinungsbild wunderbar homogen.
Weil sich die Musik aller Bedeutung zum Trotz als Ballett-Beilage nach dem zu richten hat, was auf der Bühne passiert, haben die Gäste vom Rhein das Orchester und den Dirigenten gleich mitgebracht. Die Düsseldorfer Symphoniker brauchen eine Weile bis sie sich warm gespielt haben. Vor allem die Bläser überzeugen. Was die musikalischen Inhalte betrifft, bleiben ungeachtet des sorgfältigen Dirigenten Axel Kober Wünsche offen. Die Tempi sind Tänzer-freundlich, aber bisweilen schlicht zu langsam. Und für den schwächsten Satz, das Rondo-Finale, hat auch der Bayreuth-erfahrene Düsseldorfer Generalmusikdirektor keine plausiblen Lösungen parat. Schläpfer schickt nach einem länglichen Divertissement-Geplänkel seine Tänzer auf die „Reise nach Jerusalem“. Wer keinen Stuhl ergattert, wird ausgegrenzt. Ganz so freundlich und heiter, wie sich unsere Gesellschaft gibt, ist sie wohl doch nicht, man sollte sich zumindest nicht darauf verlassen. Auch mit dieser Erkenntnis trifft Schläpfer das Doppelbödige in der Musik Gustav Mahlers auf faszinierende Weise.