Das Gärtnerplatztheater mit "Dr. Faust jun." in der Reithalle
Man ahnt die Pointen nur, und man ist verstimmt
Mit Goethes „Faust“ ist nicht zu spaßen – vor allem nicht hierzulande, wo selbst Gounods gleichnamige Oper aus falsch verstandener Ehrfurcht lange Jahre „Margarete“ hieß. Noch vor Jacques Offenbach hat der französische Komponist Florimond Ronger alias Hervé (1825 – 1892) eine Reihe von Parodien auf berühmte literarische Vorbilder verfasst, deren bekannteste den Dichter Cervantes und dessen „Don Quichotte“ aufs Korn nahm. „Le petit Faust“, oder wie das Gärtnerplatztheater seine Ausgrabung nennt: „Dr. Faust jun.“, wurde 1869 in Paris uraufgeführt – und ist seitdem vergessen.
Nicht zu Unrecht, auch wenn ein Münchner Kritiker-Kaiser, wie sich erfahren ließ, von der dreiaktigen Operette einst „hin und weg“ gewesen sei. In der Münchner Reithalle erlebten die Premierenbesucher eine bemühte, aber eben auch sehr deutsche Annäherung an ein Genre, das – siehe Offenbach – nicht gerade zu unseren Stärken zählt.
Regisseur Rudolf Frey greift munter in die Mottenkiste uralter Theater-Gags. Der Hauptdarsteller wird vermeintlich aus dem Publikum ausgewählt und darf sich in einen kalauernden Professor Unrat mit Rauschebart und gierigem Faible für junge Mädchen verwandeln. Dass es David Sitka gelingt, seine mangelnde Bühnenpräsenz mit charmanter Musikalität zu überspielen, spricht für ihn. Die Aufführung ist eine Koproduktion des Gärtnerplatztheaters mit der Theaterakademie August Everding und der Musikhochschule. Nachsicht tut gut.
Dennoch: Ein wenig mehr Phantasie hätte schon sein dürfen. Beate Vollacks Choreographie zwingt Chor und Hauptakteure in ein zackiges Zicken-Korsett. Die Damen greifen sich an den Busen. Die Herren marschieren im Stechschritt. Von den teils witzigen Texten der deutschen Übersetzung (Stefan Troßbach) ist kaum etwas zu verstehen.
Mephisto wird von Elaine Ortiz Arandes mehr als angemessen gesungen, im Spiel aber unter Wert verkauft. Ob es wirklich lustig ist, dass das herrlich vulgäre Wäschermädchen Marguerite es ausschließlich auf das Teufelsgeld des mickrigen Lehrers Faust abgesehen hat, mag jeder für sich entscheiden. Immerhin: Die quicklebendige Australierin Alexandra Flood serviert ihre kleinen Gemeinheiten und Jodel-Attacken mit hinreißender Bravour. Sie ist „die“ Entdeckung des Abends.
Mit Dreivierteltakt und „Duliäh“ – Schmäh rückt der Komponist virtuos und clever den Opernklischees seiner Zeit auf die Pelle. Hervés Musik antizipiert Offenbach, Dirigent Michael Brandtstätter und das Orchester des Gärtnerplatztheaters zelebrieren sie schmissig, einfühlsam und mit jenem Charme, den die Regie vermissen lässt.
Nach der Pause einige leere Plätze: Kaum anzunehmen, dass die flüchtigen Besucher geahnt haben, wie sehr das Geschehen – leider auch musikalisch – im zweiten Teil an Fahrt verliert. Weil die Gegebenheiten der Reithalle Übertitel offenbar nicht zulassen, ist in den diversen Couplets allenfalls ein Bruchteil der Pointen zu erahnen. Schon möglich also, dass es in Hervés „Le petit Faust“ mehr zu entdecken gibt als jene brave Späßchen, mit denen sich das Gärtnerplatztheater diesmal reichlich glanzlos aus der Affäre zieht.
Bis 23. Mai 2015; Karten unter Telefon 2185-1960