Das Werk von Jürgen Rose im Theatermuseum und in der Akademie der Schönen Künste
Der Stoff, der die Bühnenwelt zusammenhält
„Die Zeit, die ist ein sonderbar Ding“, das singt die Marschallin ihrem blutjungen Liebhaber Octavian ins Ohr. Sowieso geht es in Richard Strauss‘ „Rosenkavalier“ dauernd um die Zeit. Doch erst aus der Nähe sieht man, dass am Rock der gereiften Fürstin eine fein drapierte kleine Uhr hängt. Das ist eines dieser beredten Details, die man nicht einmal im Parkett der Staatsoper wahrnimmt. Aber Jürgen Rose, der Kostüme und Bühne für Otto Schenks Münchner Inszenierung entworfen hat, liest eben das Libretto, Wort für Wort. Und taucht ein in die Stücke wie man das eher von den tonangebenden Regisseuren erwartet. Man kann das jetzt in einer überbordenden Doppelschau verfolgen – im Theatermuseum am Hofgarten und ein paar Meter weiter in den Residenzräumen der Bayerischen Akademie der Schönen Künste.
Denn natürlich kommt in mehr als 50 Jahren Schauspiel, Oper, Operette und Ballett zwischen München, Bonn, Mailand, Moskau und New York eine Menge zusammen: Rund 300 Produktionen sind´s, und Rose, der im August 78 wird, war selbst überrascht. Zumal bei ihm nie etwas zwischen Tür und Angel über die Bühne ging. Wer die Arbeitsweise dieses Qualitätsfreaks kennt, fragt sich tatsächlich, wie er die „Arabella“ und den „Faust“, die „Cinderella“ und das „Schwarzwaldmädel“, den „Holländer“ oder das „Käthchen“ gestemmt hat. Vom Bühnen- und Kostüm-Entwurf nach ausführlichen Recherchen über die Beschaffung der Materialien – ein erlesenes Stückchen Stoff vom anderen Ende der Welt war nichts Außergewöhnliches – bis hin zu den Probenbesuchen, die wiederum Korrekturen nach sich zogen.
Der Perfektionist wollte ja immer sehen, ob seine Ideen auch in der (Bühnen-)Realität funktionieren, wie die Kostüme am Köper der Darsteller wirken, welche Bewegungen sie mitmachen. Um dann festzustellen, dass Don Alfonso aus Mozarts „Così“ noch einen Mantel verträgt. Oder die Primaballerina beim großen Sprung ein ganz klein wenig gehemmt sein könnte.
Für John Crankos Superballerina Márcia Haydée kreierte Rose in Stuttgart dann auch die idealen Garderoben: „Ich habe das Kostüm angezogen und schon war ich Tatjana“. Vergleichbares erzählen Schauspieler wie Sänger, und vielleicht hängt dieses besondere Einfühlungsvermögen mit Roses eigener Vita zusammen. Schauspieler wollte er werden, mit Cornelia Froboess und Cordula Trantow lernte er bei Marlise Ludwig in Berlin, und man spürt vor jedem der Bühnenguckkästen und mehr noch vor den immerhin 180 Originalkostümen, wie sehr sich dieser Theatermanische in die Protagonisten hineinversetzt hat. Selbst das Kaschieren gewisser Diven-Üppigkeiten war ihm ein Anliegen.
Nie wollte Rose ein freier Künstler sein, das hat er immer wieder betont und damit seine „Stillosigkeit“ begründet. Jede Bühne, jedes Kostüm war bei ihm aufs Stück und seine Darsteller bezogen. Deshalb kann es in dieser Ausstellung keine Vorführung einer stilistischen Entwicklung geben, genauso wird auf jegliche Chronologie verzichtet. Und das darf man ruhig als Angebot verstehen, sich treiben zu lassen.
Gleichzeitig wird hier dauernd das Kopfkino angekurbelt. Man sieht den Stenzen-Anzug Mephistos aus dem „Faust“ – und plötzlich meint man den fabelhaften Romuald Peckny zu hören, der die Sprache Goethes lässig zur eigenen werden ließ. Dann steht da eine Puppe mit dem kriegerisch-archaischen Gewand der Cressida – und schon vernimmt man Sunnyi Melles´ sehr spezielle Stimme im Dialog mit Troilus Tobias Moretti. Im nächsten Raum haben sich´s zwei Figurinen in Gewändern à la turquoise auf einem Bühnenrondell bequem gemacht – und gleich ist die Erinnerung an Marilyn Schmiege und Rainer Trost da, die in Dieter Dorns wunderbar reduzierter Deutung von Mozarts „Così fan tutte“ Dorabella und Ferrando waren.
Überhaupt Dorn. Es gibt immer wieder Regieteams, die sich grandios ergänzen. Beim Duo Rose und Dorn sind es 40 Jahre gemeinsamer Arbeit und ein gegenseitiger Dauerkick zum Außerordentlichen. Der hat zu starken, nachhaltigen Inszenierungen geführt und ohne Zweifel auch zu den intensivsten Bildern dieser von Rose selbst eingerichteten Großausstellung. Wer sich in die Erinnerungsschleife begibt, vergisst hier – anders als die Marschallin – wirklich die Zeit.
„Nichts ist so lebensfüllend wie das Theater“ im Theatermuseum und in der Akademie der Schönen Künste, bis 18. Oktober 2015, Di bis So und feiertags 10 bis 16 Uhr, während der Opernfestspiele am 1., 7., 24. und 30. Juli bis 18 Uhr. Katalog (Henschel Verlag) 29,95 Euro.