Stückls "Nabucco" begeistert in Oberammergau
Lenker der Volksmassen
In Oberammergau geht der König nicht zu Fuß: Nabucco Evez Abdulla) beim Einzug in Jerusalem. Foto: Arno Declair
Große Oper gibt's eben auch außerhalb der großen Städte: Oberammergau wagt sich unter Christian Stückl an Verdis "Nabucco" und meistert seine erste eigene Opernproduktion beeindruckend.
Manchmal spielt die große Politik auch in das Treiben eines kleinen Ortes in Oberbayern hinein. Und wenn man Glück hat, wird daraus ein kleines Wunder. Na gut, sagen wir mal: eine große Überraschung. Wie bei der Geschichte mit Ainars Rubikis zum Beispiel. Der Dirigent stand am Pult bei jener Nowosibirsker "Tannhäuser"-Inszenierung, die in Russland für großen Ärger sorgte und den Intendanten wie den Regisseur den Job kostete. Weil die orthodoxe Kirche sich aufgeregt hatte. Rubikis zog als Generalmusikdirektor die Konsequenzen - und verließ Russland.
Wie vom Blitz getroffen: Gottes Zorn manifestiert sich in bemerkenswertem Bühnenzauber. Foto: Arno Declair
Da erreichte den jungen Letten eine Anfrage von Christian Stückl, Passionsspielleiter in Oberammergau und Intendant des Münchner Volkstheaters. Und weil zwar auch die Oberammergauer Passionsspiele durchaus etwas mit Glauben zu tun haben, sich aber unter der Federführung Stückls als durchaus offenes Projekt begreifen, kam es dazu, dass Rubikis genauer hinhörte, als denn Christian Stückl fragte: ob er sich nicht vorstellen könne, in Oberammergau Verdis "Nabucco" zu dirigieren. Und so kam der hoch gepriesene Rubikis, immerhin Sieger beim Gustav-Mahler-Wettbewerb der Bamberger Symphoniker, nach Oberammergau. Und erlebte nach eigener Auskunft einen "positiven Schock".
Ein Schock, an dem nun auch Tausende Besucher teilhaben dürfen. Denn die Oberammergauer wagen sich nicht nur an dieses Drama und retten sich irgendwie, sie meistern den "Nabucco". In einer Art und Weise, die die rund 3300 Besucher auch der fast ausverkauften zweiten Aufführung zu Ovationen hinriss.
Ein echtes Erlebnis
Der eine mag sagen, dass er da nicht die erste Garde an Sängern gehört habe. Der andere mag entgegnen, wo man denn genau den Unterschied gehört haben will. Und ob nicht Atmosphäre, Mitfühlen und Unterhaltung - kurz: das Erlebnis - schwerer wiegen. Die erste Meinung, angesichts unbekannterer Namen geäußert, müsste sich schon des Schnöselverdachts erwehren. Die Gegenmeinung? Kaum zu entkräften. Dieser "Nabucco" ist eben - ein echtes Erlebnis.
Das fängt bei der Kulisse an. Man kennt das beeindruckende Oberammergauer Kulissenportal, über dem sich an guten Tagen ein Halbmond blassblauen Abendhimmels wölbt. Gestaltet hat das Bild der Bühne erneut ein alter Vertrauter Stückls, Stefan Hageneier. Wunderbar sind die Chorszenen, gesungen von Oberammergauern, verstärkt mit dem Extra-Chor der Staatsoper. Zum Oberammergauer Theaterwunder gehört eben auch ein Chorleiter Markus Zwink.
So schön und überzeugend nächtlich wie auf Oberammergaus großer Bühne ist es kaum woanders. Foto: Arno Declair
Wunderbar musiziert auch die Neue Philharmonie München. Rubikis leitet sie mit Esprit und Umsicht, entlockt dem jungen Orchester einen schönen transparenten Klang, überzeugend im fast schon kammermusikalisch anmutenden Piano wie im Forte. Punktabzüge gibt es lediglich an einigen wenigen Stellen im Zusammenwirken: Um ein kleines nur, aber doch bewegten sich Chor oder Sänger im zweiten Akt auseinander. Das mag dem geschuldet sein, was Rubikis so beschrieb: Manchmal sei er in diesem Haus in der Hand der Tontechniker. Vielleicht lag an den besonderen Bedingungen des Hauses auch, dass der eine oder andere Solist zunächst gedämpft klang, als singe er mit belegter Stimme. Auffällig, dass sich das stets innerhalb weniger Takte verbesserte. "Nabucco" ist eben auch eine neue Erfahrung für den sonst so versierten Oberammergauer Theaterbetrieb. Über die meisten Zweifel erhaben: Evez Abdullas Nabucco und Balint Szabos Zaccaria. Nach kleinen Startproblemen fand Irina Rindzuner zu einer wirklich anrührenden Darstellung der Abigail (oder Abigaille). Die Drei seien genannt als Beispiele einer ingesamt überzeugenden Sängerriege.
Christian Stückl erweist sich erneut als versierter Dirigent von Massenszenen. Denn zu dieser aus dem Passionsspiel sich entwickelnden Theatergeschichte gehört auch immer, dass viele Oberammergauer mitwirken. Stückl kann also jede gewünschte Menge Volks aufbieten. Der Gesamteindruck ist überwältigend. Auch dank der gedämpften Farben, die Hageneier fein abgestimmt den Kostümen verliehen hat. Dass Nabuccos Soldaten die Wüstenuniform der Amerikaner tragen, aber dazu die Kalaschnikow der Russen, mag man als Verweis auf den universellen Besatzer verstehen. Der dann aber - wäre schön, wenn's so wäre - doch noch zur Menschenliebe fähig ist. Auch da sei nochmals Evez Abdulla genannt, der seinen Nabucco anrührend auch spielte. Dass er in seinem Bekenntnis zu Jehowa ein kleines Kind ansingt, kann man als Vorwegnahme des reinen Jesuskinds sehen. Oder als Hinweis darauf, dass der Mensch auch in den abstraktesten aller Religionen zur Anbetung eines konkreten Objekts der Anbetung bedarf. Genau hinschauen kann man auch zuvor, beim Wahnsinn des Königs. Ist es tatsächlich ein Blitz Gottes, der den Größenwahnsinngen in die Umnachtung stürzt (wie's ein wirklich eindrucksvoller Feuerball nahelegt), oder ist der König mittendrin einfach dem Suff verfallen, wie man aus dem Kranz aus Weinlaub um seine Stirn folgern könnte?
Verdis Musik für "Nabucco" ist großartig, das Libretto - bestimmt als Mutmacher fürs uneinige Italien - an Holzschnittartigkeit hingegen kaum zu überbieten. Ein Problem. Die Oberammergauer haben es gemeistert. Mit schönem Klang. Und großen Bildern, die mehr sagen als die Worte des aus der Zeit gefallenen Textes. Vielleicht doch ein kleines Wunder.
Giuseppe Verdis "Nabucco" gibt es am Passionsspielhaus in Oberammergau noch an folgenden Tagen: 17., 19., 24. und 26. Juli 2015, jeweils 20 Uhr.
Dirigent: Ainars Tubikis, Regie: Christian Stückl, Bühne und Kostüme Stefan Hageneier, Chor: Markus Zwink, es spielt die Neue Philharmonie München. Solisten: Mit Evez Abdulla (Nabucco), Attilio Glaser (Ismaele), Bálint Szabó (Zaccaria), Rafal Pawnuk (Hoherpriester), Irina Rindzuner (Abigaille), Joshua Stewart (Abdallo), Virginie Verrez (Fenena), Talia Or (Anna).